Amazon kämpft weltweit gegen Gewerkschaften und Betriebsräte. Zum Einsatz kommt immer smartere Überwachungstechnologie. Nun sorgte eine Stellenanzeige in den USA für Furor. Offenbar suchte der Konzern einen Geheimdienst-Analysten, der laut Jobprofil „Risiken“ aufspüren sollte.
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Die Stellenanzeige war nicht so gemeint. Irrtümlich sei der Inhalt gewesen, die Ausschreibung sei keine genaue Beschreibung der Rolle gewesen. Das teilte ein Amazon-Sprecher dem Online-Magazin Business Insider mit, nach dem das Inserat im Internet für Furore gesorgt hat. Die Jobanzeige ist gelöscht worden, doch es gibt Screenshots des Inhaltes. Daraus geht hervor, wie Amazon mit Hilfe eines „Geheimdienst-Analysten“ (englisch Intelligence Analyst) gegen Risiken – und dazu zählt die Geschäftsführung unter anderem gewerkschaftliches Engagement – vorgehen will.
Der Fall fügt sich in eine Reihe von Skandalen in den vergangenen Jahren. Im Kern geht es stets um den Kampf des US-Konzerns gegen Beschäftigte, die ihre Rechte im Betrieb durchsetzen wollen. Nun sollte es also ein/e SpezialistIn sein, der/die mit Daten-Analysen und dem Wissen eines Geheimdienst-Mitarbeiters Aktivitäten und Risiken untersuchen soll. Ein zentrales Risiko ist für das Management seit jeher gewerkschaftliches Engagement. Business Insider zitiert aus der Stellenanzeige: Zu den Aufgaben des zukünftigen Amazon-Analysten sollte demnach die Informationsbeschaffung, die Zuarbeit und Berichterstattung an Führungskräfte im Unternehmen gehören. Im Fokus: „sensible Themen, die höchst vertraulich sind“. Dazu zählen laut Stellenausschreibung „Bedrohungen durch Gewerkschaften gegenüber dem Unternehmen“. Die Analysten seien ebenfalls für einstweilige Verfügungen „gegen aktivistische Gruppierungen“ verantwortlich.
Überraschend kommt eine solche Personaloffensive nicht: Gerade in der Corona-Krise gab es massive Vorwürfe, dass der Gesundheitsschutz der MitarbeiterInnen an vielen Stellen nicht gewahrt wurde. US-Medien berichteten von mindestens vier Streiks von LagerarbeiterInnen gegen die obligatorische Überstundenpolitik und die Arbeitsbedingungen in der COVID-19-Krise. Amazon dementierte die Risiken. Seitdem hat Amazon mindestens drei Arbeiter entlassen, die während der Pandemie Kritiker der Arbeitsbedingungen waren. Angeblich waren Verstöße Anlass der Kündigung.
Auch in Deutschland bekommen engagierte MitarbeiterInnen Gegenwind. Allerdings gibt es hier mittlerweile an allen großen Standorten Betriebsräte und Vertrauensleute, wie Orhan Akman berichtet. Er ist Bundesfachgruppenleiter Einzel- und Versandhandel bei ver.di. Für ihn ist die Stellenanzeige, mit der offenbar ein Geheimdienst-Analyst gesucht werden sollte, keine Überraschung. „Wir beobachten auch in Deutschland, dass Amazon gezielt Menschen sucht und einstellt, die beim Militär gearbeitet haben. Sie sollen die Unternehmenspolitik von Befehl und Gehorsam durchsetzen.“ Es wird ein umfassendes System von Kontrolle durch Maschinen und Daten aufgebaut und umgesetzt. „Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird fast jede Form der Freiräume im Betrieb genommen. Mit Algorithmen und Digitalisierung werden Beschäftigte zunehmend zum Anhängsel maschineller Prozesse degradiert und ihre Arbeit somit entwertet“, kritisiert Akman.
Ein aktueller Bericht des Open Markets Institute (OMI) belegt die technologische Ausrichtung von Amazon, um MitarbeiterInnen wie Roboter zu überwachen. In den USA setzt der Konzern auf Algorithmen, um die Wahrscheinlichkeit gewerkschaftlicher Aktivitäten vorherzusagen. Bereits im April berichteten Medien, dass die Amazon-Tochtergesellschaft Whole Foods ein Tool einsetzt. Damit ermittelt die Biomarktkette mit smarten Algorithmen, wie wahrscheinlich gewerkschaftliches Engagement in den einzelnen Filialen ist. Je nach Ausmaß werden die Läden farblich in einer sogenannten Heatmap gekennzeichnet.
In die Rechnung fließen die Zahl der Beschäftigen aus Haushalten unterhalb der Armutsgrenze, die ethnische Diversität und die Stimmung im Team ein. Auch der gewerkschaftliche Organisationsgrad des jeweiligen Stadtteils und die Nähe zum nächsten Gewerkschaftshaus werden miteinbezogen.
Das OMI schreibt: „An der Spitze des beunruhigenden Trends der Überwachung von Beschäftigten steht eines der mächtigsten Unternehmen der Welt: Amazon.“ Die Datenerfassung sei der zentrale Kern des Geschäftsmodells. Amazon überwache Verbraucher, Konkurrenten, Bürger und Einwanderer, und es überwacht seine Mitarbeiter auf invasive und umfassende Weise.
Die ForscherInnen beschreiben weitere Praktiken und Strategien. Ein Element ist die flächendeckende Videoüberwachung in den Lagerhallen und Betrieben. Bleiben Beschäftigte stehen und sprechen miteinander, schreiten die Vorgesetzten ein. Besonders perfide: Amazon führt die Corona-bedingten Abstandsregeln als Grund an, um jede Interaktion zu verhindern. Big Bezos is watching you.
37 Mitglieder des Europäischen Parlaments haben sich in einem Brief an Amazon-Chef Jeff Bezos gewandt und ih zu dringendem Handeln aufgefordert. Dies erfolgte kurz nachdem europäische Gewerkschaften die EU-Behörden zu Untersuchungen aufgefordert hatten, ob das Unternehmen gegen europäische Arbeits-, Daten- und Datenschutzgesetze verstößt.
„Wir sind besorgt darüber, ob europäische Gewerkschaften sowie gewählte Vertreter auf lokaler, nationaler oder europäischer Ebene von solch einer 'Bedrohungsüberwachung' betroffen sind, die darauf abzielt, Kollektivmaßnahmen und gewerkschaftliche Organisation zu unterdrücken“, heißt es in dem Schreiben der Abgeordneten. „Wir hoffen, dass Ihre Antwort unsere Bedenken hinsichtlich der Gewerkschaftsrechte und politischen Freiheiten, die durch diese kürzlich veröffentlichten Stellenausschreibungen für Intelligence Analysten bei Amazon aufgekommen sind, zerstreuen wird.“
„Das Recht der Amazon-Beschäftigten auf gewerkschaftliche Vertretung und ihr Recht auf Datenschutz enden nicht am Tor der Logistiklager“, betont auch Christy Hoffman, Generalsekretärin der internationalen Dienstleistungsgewerkschaft NI Global Union. „Amazons widerwärtiges Verhalten gegenüber Arbeitnehmern, die bessere und sicherere Arbeitsplätze wollen, zeigt, warum Gewerkschaften und Aufsichtsbehörden handeln müssen, um das Unternehmen zur Rechenschaft zu ziehen. Wir hoffen, dass Bezos und die Unternehmensleitung von Amazon die Bedenken der Abgeordneten ernst nehmen und die notwendigen Änderungen vornehmen, um sicherzustellen, dass die Arbeitnehmerrechte gewahrt werden.“
Zuvor hatten VertreterInnen von UNI Global und ver.di einen Brief an die EU-Kommission gesendet. In dem Brief, der auch vom ver.di-Vorsitzenden Frank Werneke und ver.di-Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger unterzeichnet wurde, wird die Kommission aufgefordert, „eine Untersuchung über möglicherweise illegale Tätigkeiten von Amazon gegen Beschäftigte dieses Unternehmens in Europa“ einzuleiten.
In dem Schreiben an die EU-Kommission heißt es deshalb: „Die von Amazon geplante Intensivierung der Arbeitnehmer-Überwachung in Europa und in der ganzen Welt ist ein weiterer Beleg dafür, dass die EU-Einrichtungen die Geschäfts- und Arbeitsplatzpraktiken von Amazon auf dem ganzen Kontinent genauer untersuchen müssen, da wir vermuten, dass sie gegen die für unsere Bürgerinnen und Bürger in Europa geltenden Arbeitsgesetze, Datenschutzgesetze und Persönlichkeitsrechte verstoßen.“