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Es gibt auffällige Regelmäßigkeiten bei den Fällen, mit denen Nadia Kluge in den letzten Jahren zu tun hatte. Die Juristin arbeitet als Beraterin für Faire Mobilität in München und berät Arbeitnehmer aus osteuropäischen Ländern. Bosnische Bauarbeiter sind in der Baubranche besonders oft von Lohnbetrug betroffen. Sie werden meistens in ihrer Heimat angeworben und von Slowenien aus nach Deutschland entsandt. Hier arbeiten sie auf Baustellen großer Bauunternehmer – häufig gegen Ende der Beschäftigung ohne Lohn. Bei den slowenischen Subunternehmen, die ihnen die Löhne schuldig bleiben, handelt es sich oft um Briefkastenfirmen, die aus dem systematischen Lohnbetrug ein Geschäftsmodell entwickelt haben.
Das sollte sich auch bei denjenigen herumgesprochen haben, die als Generalunternehmen die Aufträge im Baugewerbe vergeben. Nicht zuletzt, weil sie befürchten müssen, zumindest einen Teil der ausstehenden Löhne zu übernehmen. Das ist über die Generalunternehmerhaftung geregelt, eine gesetzliche Regelung, die den Lohnbetrug bei der Vergabe von Unteraufträgen eindämmen soll. Manche Bauunternehmer schreckt diese Haftungsregelung jedoch nicht, sie arbeiten immer wieder mit unseriösen Subunternehmen zusammen. Die Gewinne, die durch die Zusammenarbeit mit günstigen Subunternehmen erwirtschaftet werden, sind ungleich höher, als die Gefahr in Haftung genommen zu werden. Doch sie haben ihre Rechnung ohne Nadia Kluge und ihre Kolleginnen und Kollegen von Faire Mobilität gemacht. Ihr Wissen, um die Gesetze und um die Schlupflöcher im Arbeits- und Steuerrecht, hilft den Bauarbeitern, ihren Lohnanspruch durchzusetzen.
Besonders mit einem großen bayerischen Bauunternehmen hatten Nadia Kluge und ihre Kolleginnen in den letzten Jahren oft zu tun. „Seit 2015 verhandeln wir jährlich mit der Unternehmensführung dieses Generalunternehmens“, erzählt die Beraterin. Damals, beim ersten Mal, bangten 22 Bauarbeiter um ihren Lohn. Der Generalunternehmer hatte einen slowenischen Subunternehmer mit Bauarbeiten beauftragt, der abgetaucht war und seine Arbeiter nicht bezahlt hatte. Die Bauarbeiter, die unter schlimmsten Bedingungen untergebracht waren, streikten, nachdem ihnen der Lohn der letzten Monate nicht bezahlt worden war, sie über keinerlei Geld mehr verfügten und kaum noch Lebensmittel kaufen konnten. Erst mithilfe von Fairer Mobilität und unter dem Druck der Öffentlichkeit zahlte der Generalunternehmer einen Teil der ausstehenden Löhne.
Nach Angaben des slowenischen Gewerkschaftsdachverbands ZSSS, mit dem Faire Mobilität im Rahmen des EU-Projekts „Fair Posting“ eng zusammenarbeitet, ist dieser Subunternehmer kein Unbekannter. Er soll schon zuvor Scheinentsendungen durchgeführt und die Beschäftigten dabei betrogen haben. Slowenien scheint sich zu einer Drehscheibe für fragwürdige Entsendungen nach Deutschland entwickelt zu haben. In dem vergleichsweise kleinen Land sollen rund 3.000 Firmen angemeldet sein, die regelmäßig nach Deutschland entsenden. Bei vielen handelt es sich, nach Angaben der ZSSS, um Briefkastenfirmen. Das dürfte nicht nur der slowenischen Gewerkschaft bekannt sein. „Bei genauerem Hinsehen“, so Kluge, „hätte das bayerische Generalunternehmen schon früher feststellen können, dass hier etwas schief läuft.“
Nach Abschluss der Verhandlungen im ersten Fall 2015, versprach das Generalunternehmen, seine Vergaberichtlinien zu überprüfen. Als sich einige Monate später jedoch erneut eine Gruppe bosnischer Bauarbeiter an Faire Mobilität wandte, deren Arbeitgeber für dasselbe Generalunternehmen tätig war, wurde deutlich, dass keine Änderung der Vergaberichtlinien erfolgt war. Es war lediglich ein deutsches Subunternehmen zwischen das Generalunternehmen und das aus dem Ausland entsendende Unternehmen geschaltet worden – möglicherweise in der Hoffnung, die Haftungsregelung so umgehen zu können. Doch das bayerische Generalunternehmen war schlecht beraten. Mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes haften die Auftraggeber von Subunternehmerketten, egal wie viele Firmen aneinandergereiht sind. Und sie haften nicht nur für die Nettobeträge des Branchenmindestlohnes, sondern auch für die Nettobeträge des gesetzlichen Mindestlohnes. Das bedeutet konkret, dass selbst, wenn die Frist zur Durchsetzung des Branchenmindestlohnes verstrichen ist – was in der Praxis aufgrund der relativ kurzen Ausschlussfristen häufig der Fall ist – die betroffenen Arbeitnehmer immer noch den Nettobetrag des gesetzlichen Mindestlohnes einklagen können. Und nicht nur den. Auch die sozialversicherungsrechtlichen Zahlungspflichten des Subunternehmers, also die Beiträge zur Kranken-, Pflege-, und Rentenversicherung, die Beiträge in die Urlaubskassen über die Sozialkasse des Baugewerbes und die Einkommensteuer können auf den Generalunternehmer übergehen, wenn er sich nicht vorsorglich eine sogenannte Unbedenklichkeitsbescheinigung der Sozialkassen für das beteiligte Subunternehmen besorgt hat. Auch in dem zweiten Fall einer größeren Gruppe entsandter bosnischer Bauarbeiter, die im Frühjahr 2016 über mehrere Monate nicht bezahlt worden waren, konnte das bayerische Bauunternehmen auf dieser Grundlage zur Kasse gebeten werden.
Auch im Jahr 2017 erreichte Faire Mobilität in München erneut ein Hilferuf bosnischer Bauarbeiter, die um ihren Lohn geprellt worden waren. Erneut war dasselbe Generalunternehmen der Auftraggeber. Nadia Kluge verhandelte wieder mit den beteiligten Unternehmen – dieses Mal jedoch erfolglos. Die vom Generalunternehmen angebotenen 1.000 Euro pro Arbeiter, deren Forderungen bei bis zu 2.600 Euro lagen, waren bei Weitem zu wenig. Die Bauarbeiter lehnten das Vergleichsangebot ab und reichten Klage beim Arbeitsgericht ein. Die Geschäftsführer des Subunternehmens waren alte Bekannte. Sie hatten lediglich die Geschäftsmodalitäten verändert und den Firmensitz ihres Unternehmens nach Deutschland verlagert. Kurze Zeit später meldete das Subunternehmen Insolvenz an. Wenn sich im Rahmen des Verfahrens herausstellt, dass die Beschäftigten das Recht auf Insolvenzgeld haben, so bietet das für den Generalunternehmer ein weiteres Schlupfloch, so Nadia Kluge. (siehe das Interview im Kasten).
Der Generalunternehmer, der mit einer überschaubaren Anzahl sozialversicherungspflichtig beschäftigter Mitarbeitern Millionenumsätze erwirtschaftet, bestreitet in dem konkreten Fall zudem, dass die Bauarbeiter überhaupt auf seiner Baustelle gearbeitet hätten, obwohl ihm im Rahmen der stattgefundenen Gespräche von einem Anwalt des Subunternehmens eine Namensliste der Mitarbeitern und den von ihnen geleisteten Stunden vorgelegt wurde. Zudem erklärte der Anwalt, dass die Firma die Löhne nicht bezahlt habe, dies aber sofort tun werden, wenn die Firma vom Generalunternehmen ausbezahlt würde. Dies lehnte das Generalunternehmen mit Verweis auf eine vertragliche Vereinbarung ab, dass keine Ansprüche mehr bestünden.
Der Ausgang des arbeitsgerichtlichen Verfahrens ist noch offen. Sofern kein Anspruch auf Insolvenzgeld besteht und die Bauarbeiter ihren Anspruch glaubhaft machen können, ist zu erwarten, dass das Generalunternehmen zumindest wieder den Nettobranchenlohn bezahlen muss.
Nadia Kluges beharrliche Arbeit und ihr detektivischer Spürsinn machen Hoffnung, dass die betroffenen Bauarbeiter auch dieses Mal ihr Geld bekommen und der Bauunternehmer in Zukunft mit vertrauenswürdigen Subunternehmern zusammenarbeitet, anstatt immer wieder nach neuen Wegen zu suchen, die Generalunternehmerhaftung zu umgehen.
In aller Regel können Beschäftigte eines insolventen Unternehmens bei der Agentur für Arbeit Insolvenzgeld beantragen. Nach der Prüfung der Unterlagen würde die Agentur die Nettolöhne für bis zu drei Monate vor dem Insolvenzereignis an die Beschäftigten ausbezahlen.
Ja, die Arbeitsagentur wird dann versuchen, das Geld aus der Insolvenzmasse zurückzubekommen. Sie übernimmt – wenn man so will – das Risiko für die Beschäftigten leer auszugehen oder nur mit einem Bruchteil der Löhne abgefunden zu werden.
Nein, nach der geltenden Rechtsprechung ist das nicht möglich. Die Agentur kann nur an den Subunternehmer herantreten. Es ist daher für ein Generalunternehmen von Vorteil, wenn ein Subunternehmen, das seine Beschäftigten nicht bezahlt, Insolvenz anmeldet. Damit verringert sich für das Generalunternehmen die Wahrscheinlichkeit für die Lohnausfälle aufkommen zu müssen beträchtlich. Allerdings ist es andersherum möglich, dass die Beschäftigten Insolvenzgeld bei der Agentur für Arbeit beantragen und ihren Anspruch an das Generalunternehmen abtreten. Dann kann das Generalunternehmen die Beschäftigten ausbezahlen und sich das Geld von der Agentur für Arbeit zurückholen.
Ich vermute mal, dass der Gesetzgeber da geschlafen hat.
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