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In der Grauzone – Häusliche Pflege durch Arbeitsmigrantinnen

Die Schicksale vieler osteuropäischer Arbeitsmigrantinnen in deutschen Privathaushalten bleiben unsichtbar. Die Missachtung des Arbeitsschutzes, endlose Arbeitstage und miserable Entlohnung sind die Regel. In Deutschland ansässige Vermittlungsagenturen und private Pflegedienste sind häufig Teil des ausbeuterischen Systems

 

©lisafx/Getty Images

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Der Pflegenotstand ist ein Dauerthema in Deutschland. Obwohl die Bundesregierung versprach, mit der Konzertierten Aktion Pflege schnelle Lösungen herbeizuführen, ändert sich kurzfristig wohl nichts an der schlechten Bezahlung und den miserablen Arbeitsbedingungen, die den Fachkräftemangel in dieser Branche befeuern. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung werden im Jahr 2030 in Deutschland 500.000 Pflegekräfte fehlen.

Mehr als 1,8 Millionen Pflegebedürftige werden Zuhause versorgt. Oft mit der Unterstützung eines ambulanten Pflegedienstes, der allerdings nur basale Aufgaben übernimmt. Den Rest der häuslichen Pflege übernehmen nicht selten Arbeitsmigrantinnen, die in den Privatwohnungen der kranken und alten Menschen leben. 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche. Auch wenn dies so nicht in den Arbeitsverträgen steht, berichtet Dragana Bubulj, die für Faire Mobilität als serbokroatisch sprechende Beraterin im süddeutschen Raum arbeitet. Es gibt keine zuverlässigen Zahlen über das Ausmaß dieser Arbeitsverhältnisse. Experten schätzen jedoch, dass bis zu 400.000 osteuropäische Frauen und Männer in deutschen Haushalten als Betreuerinnen arbeiten, um die Angehörigen bei der körperlichen und emotional schweren Betreuungsarbeit zu unterstützen. Die Dunkelziffer ist hoch, weil Schwarzarbeit und andere halblegale Vertragsbeziehungen häufig vorkommen.

Mehr als 1,8 Mio Pflegebedürftige werden Zuhause versorgt

Die Schicksale dieser meist weiblichen Arbeitskräfte bleiben in der Regel unsichtbar. Der überwiegende Teil von ihnen kommt aus Polen. In zunehmendem Maße wenden sich jedoch auch Frauen aus Rumänien, Bulgarien oder Kroatien an die verschiedenen Beratungsstandorte von Faire Mobilität. „Wir vermuten einen deutlichen Anstieg der Zahlen", so Dragana Bubulj. „Meist bleiben die Frauen unsichtbar, weil sie vereinzelt in der privaten Sphäre arbeiten. Oftmals haben sie in dem Haushalt, in dem sie eingesetzt sind, nicht einmal einen Internetzugang." Dafür haben sie aber mit vielen Problemen zu kämpfen. Sie entstehen einerseits mit den Pflegebedürftigen selbst, andererseits mit den Pflegediensten und Vermittlungsagenturen, die die Frauen oft unter falschen Angaben nach Deutschland locken. Diesen Agenturen hilft der generelle Vertrauensvorschuss für deutsche Firmen, die in vielen Ländern Osteuropas als verlässliche, faire Arbeitgeber gelten. Die Frauen erwarten daher Arbeitsverträge und Verhältnisse, die in Ordnung sind. Erst wenn sie in Deutschland angekommen sind und ihre Arbeit aufgenommen haben, beginnt dann das böse Erwachen, wenn sie beispielsweise feststellen, dass sie nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. 

Aber es tut sich langsam was. So berichtet Dragana Bubulj, dass sie in den vergangenen Monaten häufiger mit Frauen aus der sogenannten 24-Stunden-Pflege zu tun hatte, die untereinander über soziale Netzwerke in Kontakt stehen und so auch von dem Hilfsangebot von Faire Mobilität erfahren haben. Dragana Bubulj versucht derzeit einige von ihnen zu unterstützen, indem sie, in Absprache mit den Frauen, über die deutsche Rentenversicherung ihren Status als Selbstständige überprüfen lässt. In vielen Fällen dürfte es sich um Scheinselbstständigkeit handeln. Das könnte ein Hebel sein, um die Pflegedienste dazu zu bewegen, die Betreuerinnen sozialversicherungspflichtig anzustellen.

Sie zwang sie die Wäsche mit der Hand zu waschen, obwohl es eine Waschmaschine gab

Anders gelagerte Probleme hat Ana Horvat*, eine kroatische Pflegerin, die ebenfalls von Dragana Bubulj beraten wird: Frau Horvat hatte vor ihrer Abreise aus Kroatien die Wahl zwischen einer Anstellung als abhängig Beschäftigte und einer selbstständigen Tätigkeit und entschied sich für den sichereren Arbeitnehmerinnenstatus. In Deutschland angekommen wurde sie zunächst bei einem pflegebedürftigen Mann in Nordrhein-Westfalen eingesetzt. Schon nach ein paar Tagen war klar, dass sie den Mann wegen seines respektlosen und aggressiven Verhaltens nicht würde pflegen können. Sie bat deshalb den Pflegedienst um Hilfe. Dieser fand nach einiger Zeit einen neuen Einsatzort für sie. Aber auch die nächste betreuungsbedürftige Person, eine demente Frau, war ihr gegenüber feindlich eingestellt. Sie zwang sie die Wäsche mit der Hand zu waschen, obwohl es eine Waschmaschine gab, und beschimpfte sie in den dunklen Phasen ihrer Demenz. Schlussendlich bestand sie darauf, dass Ana Horvat ausziehen solle. Nach drei anstrengenden Monaten sandte ihr die Vermittlungsagentur eine Rückfahrkarte. Und versprach, den ausstehenden Lohn auf ihr Konto in Kroatien zu überweisen.

Ana Horvat erhielt weder eine schriftliche Kündigung noch ihren ausstehenden Lohn. Doch die 50-jährige Kroatin blieb hartnäckig und wollte diese Ungerechtigkeit nach all den Strapazen nicht auf sich sitzen lassen. Nach mehreren unbeantwortet gebliebenen schriftlichen Zahlungsaufforderungen verklagte sie die deutsche Vermittlungsagentur auf den ausstehenden Lohn. Ohne die Hilfe eines Anwalts erwirkte sie einen Vergleich. Ihr wurden immerhin 1.934 Euro zugesprochen, die ihr die Vermittlungsagentur allerdings bis heute schuldig geblieben ist.

Auch andere Frauen wurden um ihren Lohn betrogen

Auch andere Frauen wurden von demselben privaten Pflegedienst um ihren Lohn betrogen, berichtet Dragana Bubulj. Jedoch ist Ana Horvat bislang die Einzige, die sich gewehrt hat. Die anderen Frauen meiden die Öffentlichkeit oder juristische Schritte. Ana Horvat sieht das nicht ein. Sie weiß, dass die privaten Vermittlungsagenturen davon ausgehen, dass die Frauen sich nicht zur Wehr setzen, weil sie nicht riskieren wollen in dieser Branche keinen Job mehr zu bekommen. Im Gespräch hebt sie hervor, dass es auch für sie zunächst ein Schock war, dass es sich um deutsche Unternehmen handelt, für die die Frauen gratis arbeiten. „Sie nutzen unsere Armut, die Entfernung von Zuhause und die Tatsache aus, dass die meisten von uns kein Geld für einen Anwalt haben. Es ist nicht einfach, in einem fremden Land, mit kranken Menschen zu arbeiten. Wenn wir dafür kein Geld bekommen, dann ist das schrecklich.“

Sobald sie sich in Kroatien von einer Krankheit erholt hat, die sie mit ihrer schwierigen ökonomischen Situation in Verbindung bringt, will sie sich um das Zwangsvollstreckungsverfahren kümmern. In der 24-Stunden-Pflege zu arbeiten, ist ein Knochenjob. Dass Frauen wie Ana Horvat in die Grauzone zwischen Illegalität und Legalität abgedrängt und dann auch noch um ihr Geld betrogen werden, ist ein Skandal. Ihre Unbeugsamkeit und Kraft kann deshalb gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.


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