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Wenn Wojtek Arlet* wieder mal von seiner Leiharbeitsfirma keinen Lohn ausbezahlt bekommt, Spesen, Unterbringungskosten und Reisekosten für den nächsten Job irgendwo in Deutschland aber von ihm selbst gezahlt, vorgestreckt werden sollen, leiht er sich Geld oder schläft auch mal eine Nacht im Auto. Das letzte Mal hat er den neuen Job sausen lassen, um sich nicht noch mehr zu verschulden. Schulden aufzunehmen, (bei wem soll er sich überhaupt noch Geld leihen?), um den nächsten schlecht bezahlten Arbeitsauftrag anzutreten, schien ihm unverantwortlich. Seine Entscheidung war konsequent und gleichzeitig gefährlich. Seine Familie in Polen ist von seinem Einkommen abhängig, auch für sie sind die schlechten Arbeitsbedingungen hier ein Desaster und schwer zu verstehen.
Viele Arbeitnehmer aus den mittel-und osteuropäischen Ländern, die durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit EU-weit arbeiten können und vor allem im Niedriglohnsektor, als Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter oder Werksvertragsbeschäftigte arbeiten, sind erschrocken über die Arbeitsbedingungen in Deutschland. Dass Wojtek Arlet zuletzt ganze drei Monate seines Lohns nicht ausgezahlt wurden, auf die er bis heute vergeblich wartet, hätte er nicht für möglich gehalten. Deutschland macht von außen einen so gut organisierten Eindruck, dass viele Polen nicht erwarten, dass sie betrogen und ausgebeutet werden, erzählt Ida Mikolajczak, Beraterin der Fairen Mobilität in Kiel. Die Beratungsstelle hilft, gerechte Löhne und faire Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus den mittel- und osteuropäischen EU-Staaten auf dem deutschen Arbeitsmarkt durchzusetzen.
Wojtek Arlet ist mit diesem Erschrecken nicht allein. Zwanzig weitere polnische Leiharbeiter, haben sich bei der Beratungsstelle der Fairen Mobilität in Kiel gemeldet. Ihnen wurde bis zu drei Monate kein Lohn ausgezahlt. Mittlerweile ist davon auszugehen, dass bis zu 90 Mitarbeitern, die bei der Leiharbeitsfirma beschäftigt waren, der ihnen zustehende Lohn nicht ausgezahlt wurde. Die Firma scheint insolvent gegangen zu sein, zumindest wurden solche Gerüchte von Büromitarbeitern der Firma verbreitet. Den meisten Betroffenen wurde zudem zum 31. Mai 2017 gekündigt. Die Insolvenz wurde jedoch nicht gemeldet, das Geschäftsführerehepaar hat stattdessen den Firmensitz von Rostock nach Berlin verlegt und dort einen neuen Geschäftsführer installiert.
Die Kolleginnen und Kollegen, die für die Firma in Rostock bundesweit im Einsatz waren, haben sich auf einer polnischen Plattform ausgetauscht und organisiert. Über die Recherche im Internet sind sie bei der Beratungsstelle der Fairen Mobilität in Kiel gelandet. Für Ida Mikolajczak, die für die Beratungsstelle deutsche, polnische und englisch sprechende Arbeitnehmer berät, ist das Problem der Lohnenthaltung von mittel-und osteuropäischen Leiharbeitern nicht neu. Viele Unternehmer machen ein Geschäft aus der Ausbeutung osteuropäischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ida Mikolajczak versuchte, nachdem sie die Arbeitsverträge, Lohnabrechnungen und Kündigungen beisammen und analysiert hatte, die Leiharbeitsfirma zu kontaktieren. Die Anrufe wurden nicht angenommen, die Briefe kamen als unzustellbare Sendungen ungeöffnet zurück.
Das ist auch für Ida Mikolajczak neu, denn es passiert relativ selten, dass die scheinbar insolventen Firmeninhaber untertauchen, erzählt sie im Gespräch. Die Lohnansprüche außergerichtlich durchzusetzen, erwies sich so als unmöglich. Den nächsten Schritt, eine Klage vor dem Arbeitsgericht zu erheben, sind einige Beschäftigte bereits gegangen. Doch trotz der rechtskräftigen Urteile zu ihren Gunsten kommen die Beschäftigten nicht an ihr Geld. Inzwischen hat Ida Mikolajczak einen Brief an die für die Erteilung der Erlaubnis für die Arbeitnehmerüberlassung zuständige Agentur für Arbeit in Kiel aufgesetzt, in dem der Verdacht auf Nichteinhaltung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes der Leiharbeitsfirma mit den notwendigen Unterlagen belegt wird. Zudem haben einige Beschäftigte mit Hilfe von Faire Mobilität bei der für sie zuständigen Agentur für Arbeit einen Antrag auf Insolvenzgeld gestellt. Aber auch dieser Vorgang verhilft den Betroffenen nur dann zu ihrem Geld, wenn die Insolvenz nachweisbar und die Firma erreichbar ist.
Die Agentur für Arbeit versucht mittlerweile die Privatanschrift des neuen Geschäftsführers zu ermitteln. Der letzte Stand von Ida Mikolajczak, die Wojtek Arlet und seinen Kollegen weiterhin mit Rat und Tat zur Seite steht, ist, dass die Bundesagentur für Arbeit inzwischen die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung widerrufen hat, da die Briefe auch an die neue Adresse in Berlin nicht zugestellt werden können. So könnte der Leiharbeitsfirma die Zulassung entzogen werden. Das ist gut für alle zukünftigen Leiharbeiterinnen, denen sonst wohlmöglich das Gleiche passieren könnte.
Für Wojtek Arlet und seine Kollegen bringt das aber nichts. Bis auf Weiteres müssen die polnischen Kolleginnen ausharren. Sie warten immer noch auf ihr Geld. Ida Mikolajczak und die Faire Mobilität bleiben dran. Sie leisten „Schützenhilfe“ bei außergerichtlichen Verfahren und machen den Behörden Druck, damit sie die Möglichkeiten ausschöpfen das geltende Recht umsetzen, das dafür sorgt, dass allen Leiharbeiterinnen und Angestellten, die in Deutschland arbeiten, egal woher sie kommen, die gleichen Rechte und Arbeitsbedingungen zustehen.
Oktober 2017
Faire Mobilität
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