Stephan Glöde
Herr Wahl, Sie führen zurzeit bei Faire Mobilität ein Schwerpunktprojekt zum Thema Straßentransport durch und informieren Lkw-Fahrer über ihre Rechte in Deutschland. Was machen Sie genau und was ist Ihr Ziel?
Viele Fahrer auf deutschen Autobahnen kommen aus Mittel- und Osteuropa. Sie arbeiten aber Wochen oder Monate am Stück in Westeuropa und kennen ihre Rechte in Deutschland kaum. Das wollen wir ändern. Wir versuchen die Lkw-Fahrer direkt zu erreichen und sind vor allem auf Parkplätzen und Raststätten unterwegs. Hier verbringen die Fahrer ihre Ruhezeiten. Sie leben ja mehr oder weniger auf den Parkplätzen, bereiten ihr Essen auf dem Campingkocher zu und sitzen abends zusammen.
Sie beraten die Lkw-Fahrer, während das Essen auf dem Campingkocher brutzelt?
Wir gehen am Abend oder am Wochenende auf die Raststätten, wenn die Fahrer etwas Zeit haben. Wir sprechen sie dann in ihrer jeweiligen Landessprache an. So haben wir das inzwischen bei 25 Aktionen in 5 Monaten gemacht. Bislang konnten wir mit über 1500 Fahrern sprechen. Und sobald wir in der Landessprache sagen, dass wir über Arbeitsrechte informieren und kostenlose Beratung anbieten, will eigentlich jeder mit uns reden.
Wie gut sind die Fahrer über ihre Rechte informiert?
Viele nur sehr schlecht. Ein Grund sind die vielen Regeln, die sie beachten müssen: Lenk- und Ruhezeiten, Arbeitszeitgesetze, Straßenverkehrsordnung und so weiter. Zudem fahren sie meist durch viele verschiedene Länder mit unterschiedlichen Gesetzen. Es ist es schwierig, da den Überblick zu behalten und jede Regel zu kennen. Geschweige denn seine Rechte auch einzufordern.
Wie immer ist vermutlich der Lohn eines der wichtigsten Themen. Wie viel verdient ein Lkw-Fahrer, der in Deutschland fährt?
Die meisten osteuropäischen Fahrer haben osteuropäische Verträge, sie verdienen weit unter dem deutschen Tariflohn. Und selbst deutsche Firmen zahlen heute nur selten nach Tarif.
Dann sind es also nicht nur die osteuropäischen Firmen, die Lohndumping betreiben?
Nein, viele westeuropäische Speditionen haben Ableger in Osteuropa gegründet und fahren nun mit billigeren osteuropäischen Fahrern in Deutschland und in anderen Ländern. Es sind also ganz sicher nicht die bösen osteuropäischen Firmen und die guten deutschen Speditionen. Vielmehr handelt es sich um einen Konflikt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Viele Fahrer haben dafür ein Bewusstsein, ich würde sagen: Die Solidarität wächst! Und das obwohl versucht wird, die Lkw-Fahrer ständig gegeneinander auszuspielen.
Wie hoch sind denn die Verdienstunterschiede?
Auf einer Raststätte haben wir zwei Fahrer der gleichen Spedition getroffen: einer der Fahrer hatte einen deutschen Arbeitsvertrag und bekam etwa 2500 Euro. Der zweite Fahrer hat für eine ungarische Niederlassung der gleichen Spedition gearbeitet. Sein Lohn lag deutlich unter dem des deutschen Kollegen, bei 500 Euro. Die osteuropäischen Fahrer, die wir treffen, bekommen zwischen 250 und 600 Euro Lohn.
Ist das normal? Hat der Fahrer mit osteuropäischem Vertrag keinen Anspruch auf den deutschen Mindestlohn?
Leider ist das ein typischer Fall. Obwohl jeder, der in Deutschland arbeitet, Anspruch auf 8,84 Euro pro Stunde hat – egal, in welchem Land sein Vertrag unterschrieben ist – umgehen viele Arbeitgeber den Mindestlohn mit einem Trick: Die Fahrer kriegen als Ausgleich für die Differenz zwischen dem niedrigen Grundlohn und ihrem Anspruch auf ca. 1.500 Euro Mindestlohn eine sogenannte Tagespauschale. Das sind genau genommen Spesen, für die auch der Arbeitgeber weder Sozialabgaben noch Steuern abführt.
Halten wir fest: Der Fahrer mit deutschem Vertrag bekommt 2.500 Euro, der Fahrer mit osteuropäischem Vertrag 500 Euro Lohn und 1.000 Euro Spesen. Ist das legal, den Mindestlohn so zu bezahlen?
Bei Kontrollen akzeptiert der Zoll diese Art von Bezahlung. Aber es ist umstritten, ob dies der Rechtslage entspricht: Ein tschechischer Fahrer, der von uns betreut wird, klagt im Moment mit Unterstützung von ver.di seinen Mindestlohn ein. Und zwar zusätzlich zu seinen Tagespauschalen, die bisher auf den Mindestlohn angerechnet wurden.
Noch eine Frage zu den Tagespauschalen: Die kriegt der Fahrer vermutlich nicht, wenn er krank ist?
Nein. Dann bekommt er nur den Grundlohn. Der Fahrer überlegt sich dann natürlich dreimal, ob er es schafft, trotz Krankheit weiterzuarbeiten.
Nicht gerade beruhigend zu wissen, dass Fahrer auch in schlechtem gesundheitlichen Zustand 40 Tonnen über die Autobahn lenken. Haben Sie solche Fälle erlebt?
In einem Fall aus unserer Beratung ist ein Fahrer mit einem leichten Schlaganfall weitergefahren und erst Tage später ins Krankenhaus gegangen. Er hatte keinen Unfall, aber er ist seitdem berufsunfähig. Da der niedrige Grundlohn sich natürlich auch auf die Rente auswirkt – die Sozialabgaben für etwa 500 Euro Grundlohn sind für eine auskömmliche Rente viel zu gering – ist Altersarmut vorprogrammiert. Der berufsunfähige Fahrer lebt jetzt von einer minimalen Frührente.
Auf Ebene der EU steht nun eine Revision der Entsenderichtlinie an. Das Motto der Neuregelung ist „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“. Doch die EU-Arbeitsminister haben nun vorgeschlagen, den Straßenverkehr aus der Richtlinie herauszunehmen und in eine eigene Richtlinie zu fassen. Was halten Sie davon?
Wir halten davon nichts! Die geplante Revision der Entsenderichtlinie könnte – auch wenn es noch weitaus mehr zu verbessern gäbe – positiv wirken. Dort soll etwa geregelt werden, dass die relevanten Tariflöhne einer Branche auch für entsandte Beschäftigte gelten. Und es wird darüber diskutiert, dass Lohnansprüche nur noch als sozialversicherungspflichtiger Lohn bezahlt werden dürfen. Nicht mehr über den Umweg der Tagespauschale, wie es derzeit beliebte Praxis ist. Die Transportbranche aus der Revision der Entsenderichtlinie herauszunehmen, wäre nicht nur für den internationalen Straßentransport fatal.
Welche Auswirkungen könnte diese Ausnahmeregelung haben?
Zum einen braucht eine hochkomplexe Branche wie die Transportbranche einfache, klar durchsetzbare Regelungen. Es ist außerdem seltsam, Gesetze zu schaffen und direkt eine derart umfassende Ausnahme einzubauen. Dann ist vorprogrammiert, dass andere Branchen ähnliche Ausnahmeregelungen fordern werden.
Was müsste abgesehen von einer EU-Richtlinie noch geschehen, um die Situation für die Lkw-Fahrer aus Mittel- und Osteuropa zu verbessern?
Die Fahrer müssen besser informiert werden und sie sollten sich gewerkschaftlich organisieren. Bezüglich der Organisierung müssen sich alle Beteiligten überlegen, wie man in einem Sektor Solidarität schafft, in dem jeder alleine unterwegs ist. Hier bietet das Internet viele Chancen. Ansonsten können Erfolgsgeschichten Mut machen. Viele Gewerkschaftskollegen in Europa machen einen großartigen Job. Auch in unserer Beratung zeigen die einzelnen Fallgeschichten: Es lohnt sich, sich für die eigenen Rechte einzusetzen.
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