Deutscher Gewerkschaftsbund

Faire Mobilität, November 2024

Glasfaserausbau: Prekäre Bedingungen und Lohnbetrug

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Deutschland ist im Glasfaserfieber. In immer mehr Ortschaften werben Internetanbieter mit neuen Highspeed-Verbindungen – und auch die Bundesregierung treibt den Ausbau der Infrastruktur im Rahmen ihrer Gigabitstrategie voran. Das ambitionierte Ziel: Bis 2025 sollen die Hälfte, bis 2030 alle Haushalte an das Glasfasernetz angeschlossen sein. Der Glasfaserausbau wird überwiegend von privatwirtschaftlichen Unternehmen durchgeführt, mehr als 2.000 konkurrieren um die lukrativen Aufträge. Doch von dieser Goldgräberstimmung spüren die Arbeiter*innen, die vielerorts bei Wind und Wetter die Kabel in den Boden verlegen, nur wenig. Seit Jahren steigt die Zahl ausländischer Beschäftigter, die auf den wandernden Baustellen unter prekären Bedingungen arbeiten. Viele melden, dass sie um ihren Lohn geprellt werden. Diese Beschäftigten befinden sich in großer Abhängigkeit von ihren Arbeitgebern, die sich in einem undurchsichtigen Netz von Subunternehmen ihrer Verantwortung entziehen. Der Sektor braucht klare Regeln zum Schutz der Beschäftigten, um die organisierte Ausbeutung zu beenden.

Undurchsichtige Firmengeflechte

»Der Glasfaserbau ist relativ neu in Deutschland, deshalb ist er auch schlecht reguliert«, sagt Kateryna Danilova, Branchenkoordinatorin für Baugewerbe und Landwirtschaft bei Faire Mobilität. Beratungsstellen verzeichnen immer mehr Fälle aus dem Glasfaserausbau. Eine Besonderheit dieses Sektors besteht darin, dass sich viele mit der Verlegung von Glasfaserkabeln beauftragte Firmen als Telekommunikationsunternehmen verstehen, obwohl es sich dabei offensichtlich um eine Tiefbautätigkeit handelt. Mit dieser baufremden Kategorisierung glauben die Firmen, nicht an geltende tarifvertragliche Standards wie die Meldepflicht bei den Sozialkassen der Bauwirtschaft (SOKA-BAU) gebunden zu sein. Neben der Sicherung von Urlaubskassenbeiträgen hat eine solche Meldung auch den Vorteil, dass damit die verantwortlichen Unternehmen bekannt sind.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Baustellen in ständiger Bewegung sind, sodass Kontrollen nur schwer organisiert werden können. Kateryna Danilova berichtet von dem Anruf einer Anwohnerin, die auf einer Baustelle schlechte Arbeitsbedingungen beobachtet und sich deshalb an Faire Mobilität gewandt hatte. Doch als Berater*innen wenig später nachschauen wollten, war die Baustelle schon weitergezogen.

»Oftmals wissen die Beschäftigten selbst nicht, für wen sie arbeiten«

sagt Šejla Vojić, Beraterin bei Faire Mobilität. Sie könnten höchstens sagen, in welcher Straße oder in welchem Ort sie gearbeitet haben. In anderen Fällen kennen sie noch den Namen des Entsendeunternehmens, das sie aus anderen EU-Ländern oder Drittstaaten angeworben hat. Diese Firmen im Ausland zu kontaktieren, ist nicht immer einfach. Sie stehen meist am unteren Ende einer langen Kette von Subunternehmen, die sich gegenseitig die Verantwortung zuschieben.

Kein Lohn für wochenlange Arbeit

Wie schwierig es ist, die Verantwortlichen festzunageln, illustriert ein Fall, der Šejla Vojić schon seit mehr als einem Jahr beschäftigt. Im August 2023 kamen zwei Ratsuchende zu ihr, die berichteten, für mehrere Wochen Arbeit auf einer Baustelle im baden-württembergischen Mössingen nicht bezahlt worden zu sein. Wie sich herausstellte, waren nicht nur sie, sondern insgesamt 24 Beschäftigte betroffen. Nach langer Recherche verschickte die Beraterin nicht weniger als sechs Zahlungsforderungen in Höhe von insgesamt 32.000 Euro an unterschiedliche Unternehmen in der Kette.

Nach erfolglosen Versuchen, die Subunternehmen zu erreichen, wandte sich die Beraterin von Faire Mobilität an das Generalunternehmen – das heißt an die Firma, die als erste den Bauauftrag bekommen hat und bei der sich alle Tätigkeiten im Bausektor bündeln. Dieses Unternehmen ist nach der Generalunternehmerhaftung auch für die von ihr beauftragten Subunternehmen haftbar. Solche Generalunternehmen werden von großen Internetanbietern wie Vodafone, Telekom oder Deutsche Glasfaser mit der Verlegung von Glasfaserkabeln beauftragt.

Im Fall der Baustelle in Mössingen stellte sich heraus, dass der Generalunternehmer nicht leicht zu ermitteln war. Die Entsendefirmen, eine kroatische und eine slowenische Firma, waren damit beauftragt worden, für ein deutsches Unternehmen Glasfaserkabel zu verlegen. Eine slowenische Gewerkschaft schickte eine Zahlungsaufforderung an die slowenische Firma – doch diese reagierte nicht. Bei der kroatischen Firma wiederum stellte die Beraterin von Faire Mobilität fest, dass die Beschäftigten weder über A1-Bescheinigungen, die eine Sozialversicherung im Ausland nachweisen, noch über Arbeitsverträge verfügten. Letztere wurden von dieser Firma auch auf Nachfrage nicht ausgehändigt. Mithilfe unterschiedlicher Unterlagen eines Bauleiters, einer schriftlichen Bestätigung der Stadt Mössingen sowie der schriftlichen Aussage einer Mitarbeiterin des Auftraggebers, der Deutschen Glasfaser, fand die Beraterin heraus, dass eine Firma namens Geodesia als Generalunternehmer in den Fall involviert ist. Dies wird von Geodesia allerdings bestritten.

Für die Beschäftigten, die für ihre wochenlange Arbeit in Mössingen bisher noch keinen Lohn erhalten haben, geht es um viel Geld. Ein bosnischer Arbeiter berichtete, dass er damit vorsorgen wollte. Stattdessen mussten ihm seine Eltern Geld für die Rückreise schicken. »2.000 bis 3.000 Euro netto, das klingt für uns vielleicht nicht viel, aber für sie schon. Sie stecken jetzt in finanziellen Schwierigkeiten«, sagt Šejla Vojić.

Die Ausbeutung beenden

Solche Probleme sind keine Einzelfälle. Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) hat deshalb eine Reihe von Forderungen aufgestellt, um der Praxis der Verschleierung entgegenzuwirken. So fordert die IG BAU die Ausweitung der Generalunternehmerhaftung auf baufremde Auftraggeber. Das sind zum Beispiel Unternehmen, die als Bauherren lediglich eine Verlegung von Glasfasern in Auftrag geben.

Um Fälle wie jene in Mössingen zu verhindern, könnten zudem zwei spezifische Maßnahmen helfen. Zum einen sollte die Zahl der Unteraufträge begrenzt werden, um lange Subunternehmerketten gar nicht erst entstehen zu lassen. Zum anderen, so die Forderung der IG BAU, sollte das Verlegen von Glasfaserkabeln endlich als Tätigkeit im Tiefbau rechtlich festzustellen. Damit müssten involvierte Firmen die tariflichen Regelungen des Bauhauptgewerbes einhalten, wie zum Beispiel die Meldepflicht bei der SOKA-BAU.

Doch auch bei der Bundesregierung muss sich etwas bewegen. Für den Glasfaserausbau im Rahmen der Gigabitstrategie waren allein für 2024 zwei Milliarden Euro vorgesehen. Öffentliche Aufträge müssen endlich an tarifvertragliche Standards geknüpft werden, so die IG BAU. Auf lokaler Ebene müssen die Kommunen dazu verpflichtet werden, Einsatzorte und Zeiträume von Baustellen an den Zoll zu melden und dafür zu sorgen, dass der Arbeits- und Gesundheitsschutz auf den Baustellen eingehalten wird. Schließlich fordert die IG BAU, dass auch die Auftraggeber in die Pflicht genommen werden, ihre Baustellen zu kontrollieren.

Der Glasfaserausbau schreitet in hoher Geschwindigkeit voran – und wird es noch einige Jahre tun. Diejenigen, die bis 2030 Hunderttausende Kilometer Glasfaserkabel verlegen sollen, dürfen dabei nicht leer ausgehen. Es ist höchste Zeit für einen gerechten Glasfaserausbau und gute Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten.


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