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Frau Türk, Sie beraten in Frankfurt hauptsächlich rumänische Bauarbeiter. Ihnen ist aufgefallen, dass aus dem Ausland kommende Bauarbeiter nie bezahlten Urlaub machen. Wie kann das sein?
Ja, das stimmt. Das habe ich bei fast allen rumänischen Beschäftigten erlebt, die sich an mich gewandt haben. Und das waren in den drei Jahren, seitdem ich bei Faire Mobilität arbeite, Hunderte. Dabei ist es im Übrigen egal, ob es sich um entsandte Bauarbeiter oder Bauarbeiter mit deutschen Arbeitsverträgen handelt. In manchen Fällen wurden sogar vor Beginn der Beschäftigung mündliche Vereinbarungen getroffen, in denen die Höhe der Stundenlöhne festgelegt wird, aber auch klar gemacht wird, dass die Beschäftigten auf alle weiteren Ansprüche, inklusive der Lohnfortzahlung während des Urlaubs, verzichten. Das heißt natürlich nicht, dass diese Bauarbeiter keinen Urlaub machen. Viele nehmen sich im Sommer oder über Weihnachten ein paar Wochen frei und verbringen die Zeit bei ihren Familien. Aber eine Entgeltfortzahlung für diesen Urlaub, die ihnen eigentlich zusteht, die bekommen sie nicht.
Aber wie funktioniert dieser Betrug genau?
Zunächst einmal muss man wissen, wie die Urlaubsansprüche im Baugewerbe geregelt sind. Alle Baubetriebe sind gesetzlich verpflichtet, an dem von der SOKA-BAU organisierten Urlaubsverfahren teilzunehmen. Nachdem die Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer angemeldet haben, müssen alle Betriebe monatlich die erforderlichen Angaben zu Bruttolohn, Beschäftigungstagen, gewährtem Urlaub, gewährter Urlaubsvergütung usw. anmelden. Diese Angaben sind die Grundlage für den Urlaubsanspruch jedes Beschäftigten, für den dann ein überbetriebliches Urlaubskonto bei der SOKA-BAU geführt wird. Sobald ein Arbeitgeber einem Beschäftigten Urlaub gewährt, bekommt er im nächsten Monat, die von ihm ausgezahlte Urlaubsvergütung von der SOKA-BAU zurückerstattet. In dieses Verfahren einbezogen sind seit 1997 auch ausländische Baubetriebe, die Arbeitnehmer auf deutsche Baustellen entsenden.
Nach unseren Erfahrungen sind die Angaben, die die Arbeitgeber bei der SOKA-BAU machen, häufig schlicht falsch. Entweder wird ein viel zu geringer Lohn oder ein zu geringer Stundenumfang angegeben. Wir haben auch immer wieder Fälle, bei denen die Beschäftigten gar nicht bei der SOKA-BAU angemeldet werden. Der Klassiker ist, wenn man so will, in diesem Bereich der Arbeitgeber, der auf den Lohnabrechnungen seiner Arbeitnehmer monatlich Urlaubstage abzieht, die diese überhaupt nicht genommen haben. Als nächstes lässt er sich dann die Urlaubsvergütung von der SOKA-BAU erstatten. Damit landet die Urlaubsvergütung der Beschäftigten in den Taschen des Arbeitgebers. Das ist Betrug, nicht nur am Arbeitnehmer, sondern auch am Sozialversicherungssystem insgesamt.
Aber fällt diese Betrügerei nicht auf?
Naja, manchmal schon, aber es ist nicht so einfach, dagegen als Einzelner vorzugehen. Die SOKA-BAU schickt jedem Bauarbeiter einmal im Jahr einen sogenannten Arbeitnehmerkontoauszug. Daraus kann der Bauarbeiter alle für seinen Urlaubsanspruch wichtigen Einzelheiten, wie die angegebenen Beschäftigungstage, den Bruttolohn oder seine Urlaubsansprüche einsehen. Oft kennen die Bauarbeiter aus dem Ausland ihre Rechte gar nicht so genau, sie wissen häufig nicht was sie mit den Kontoauszügen der SOKA-BAU anfangen sollen. Weiß er aber um das Urlaubskassenverfahren und seine Rechte und merkt, dass etwas nicht stimmt, muss er schnell handeln und seine Ansprüche innerhalb von zwei Monaten geltend machen. Wenn es zu Unregelmäßigkeiten kommt, kümmert sich darum im Übrigen nicht die SOKA-BAU, sondern jeder Einzelne muss seine Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber geltend machen.
Wie gehen Sie konkret bei solchen Fällen vor?
Zunächst klären wir die Beschäftigten über ihre Ansprüche auf und erläutern ihnen das Umlageverfahren. Wenn ein konkreter Verdacht auf Betrug vorliegt, muss ich mir einen Überblick verschaffen und die Kontoauszüge der SOKA-BAU mit den Angaben der Beschäftigten vergleichen. Leider sind die Fristen für einen Widerspruch viel zu kurz, sodass wir oft nichts mehr tun können. In manchen Fällen wende ich mich direkt an den Arbeitgeber, wobei dieser Schritt nicht immer etwas bringt. Bei einem Verfahren liegt die Beweispflicht beim Arbeitnehmer. Er muss beweisen, dass er in dem besagten Zeitraum nicht im Urlaub war. Das ist natürlich sehr aufwendig. Bei allem, was wir den Beschäftigten vorschlagen, müssen wir zudem die Abhängigkeit der Bauarbeiter vom Arbeitgeber in Rechnung stellen. Denn was nützt es dem Beschäftigten, wenn er das Geld für vier Wochen Urlaub nachträglich ausbezahlt bekommt, aber dafür keine Arbeit mehr hat?
Wie arbeiten Sie konkret mit der SOKA-BAU zusammen? Und haben Sie Vorschläge, wie das Problem strukturell bekämpft werden kann?
Die Zusammenarbeit mit der SOKA-BAU ist gut. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, mit denen wir zu tun haben, unterstützen die Belange der Beschäftigten und sind stets hilfsbereit. Grundsätzlich wäre es in Zukunft gut, gemeinsam mit der SOKO-BAU und dem Zoll ein besseres, weniger betrugsanfälliges Verfahren zu entwickeln. Wir von Faire Mobilität helfen im Einzelfall, geben Tipps, stellen Infomaterial zusammen. Wir setzen uns aber auch für eine gemeinsame Kampagne ein, die dieses Problem in die Öffentlichkeit trägt. Denn es bleibt noch viel zu tun. Oder wussten Sie vor diesem Interview von dieser Praxis der Ausbeutung?
Oktober 2017
Faire Mobilität
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