Deutscher Gewerkschaftsbund

28.09.2018
Artikel

Löhne: Außergerichtlich durchgesetzt

Mitte Juni 2018 wandte sich eine Gruppe rumänischer Bauarbeitern Hilfe suchend an Faire Mobilität Frankfurt/Main. Die 19 Männer arbeiteten zum Teil seit mehreren Monaten auf einer Baustelle in Neu-Isenburg. Ihr Arbeitgeber war nicht mehr zu erreichen, ihre Löhne waren seit Wochen nicht mehr ausbezahlt worden. Zudem wohnten die Männer in einer Unterkunft des Arbeitgebers und befürchteten, in Kürze auf die Straße gesetzt zu werden. Auftraggeber der Baustelle, war die Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft Neu-Isenburg und das zuständige Generalunternehmen, die d&b-Bau GmbH. Am 16. Juni 2018 versammelten sich die Rumänen, begleitet von Kolleginnen und Kollegen des IG BAU Bezirks Rhein-Main und von Faire Mobilität, an der Baustelle und machten pressewirksam auf ihre Situation aufmerksam. Das Generalunternehmen erklärte sich in den folgenden Verhandlungen bereit, einen Teil der Forderungen zu begleichen.

Über die Voraussetzungen und Möglichkeiten, in solchen Fällen zu außergerichtlichen Lösungen zu kommen, haben wir mit Aura Plesca und Ivan Ivanov von Faire Mobilität und mit Johannes Schader, Branchensekretär im Bezirksverband Rhein-Main der IG BAU, gesprochen.

Bau-Aktion

© Christoph Boeckheler

Interview mit Aura Plesca und Ivan Ivanov
Faire Mobilität, Frankfurt/Main

? Wie haben die rumänischen Kollegen den Weg in die Beratungsstelle gefunden?

! Aura Plesca: Die Männer hatten über andere Bauarbeiter von Faire Mobilität gehört und haben uns angerufen.

? Welche Rolle hat die IG BAU gespielt?

! Ivan Ivanov: Die IG BAU hat die rumänischen Kollegen als Mitglieder aufgenommen und sich bereit erklärt, sie zu vertreten. Normalerweise kann eine Gewerkschaft erst nach einer gewissen Wartezeit Rechtsberatung und Rechtsschutz gewähren. Dass die IG BAU hier eine Ausnahme gemacht hat, war für die Kollegen wichtig. Denn damit hatten sie eine große und fachkundige Organisation an ihrer Seite. Das hat die Verhandlungsmöglichkeiten der Kollegen deutlich verbessert. Außerdem hat die IG BAU in Frankfurt – leider, muss man sagen – viele Erfahrungen im Umgang mit solchen Situationen.

? Was waren Eure ersten Schritte?

! Aura Plesca: Die Kollegen befanden sich in akuter Not. Sie hatten kein Geld mehr für Nahrungsmittel und standen kurz vor der Obdachlosigkeit. Wir mussten daher sehr schnell handeln, denn normalerweise versuchen die Leute, wenn sie aus den Unterkünften rausgeworfen werden, schnell zurück nach Rumänien zu kommen. Oder sie suchen sich einen neuen Job, in einer anderen europäischen Stadt. Wenn sie aber weg sind, können wir in aller Regel nichts mehr für die Kollegen tun.

? Ihr habt Euch dann für eine öffentliche Aktion entschieden – Warum?

! Aura Plesca: Die IG BAU hat die nicht bezahlten Stunden der Kollegen gegenüber dem Generalunternehmen geltend gemacht. Die Antwort auf dieses Schreiben kam prompt und lautete sinngemäß, dass das Generalunternehmen die Arbeiter nicht kenne und die Forderungen zurückweise. Wir hatten jedoch Beweise, dass die Kollegen auf der Baustelle gearbeitet hatten. Wir wollten diesen Widerspruch schnell aufklären und haben uns um ein Gespräch bemüht.

? Hat die öffentliche Aktion etwas gebracht?

! Ivan Ivanov: Der öffentliche Druck hat dazu geführt, dass der Generalunternehmer umgehend die Vertragsverhältnisse auf der Baustelle überprüft hat. Ohne diese Aktion hätte sich die Prüfung wahrscheinlich sehr lange hingezogen. So stellte sich heraus, dass der beauftragte Nachunternehmer einen weiteren Subunternehmer beauftragt hatte. Davon hatte das Generalunternehmen bis zur Prüfung wohl keine Ahnung gehabt und deshalb waren die Kollegen dem Generalunternehmen auch nicht bekannt.

? Hat die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) in diesem Fall eine Rolle gespielt?

! Aura Plesca: Durchaus – wir haben für den Kontakt zwischen der FKS und den Beschäftigten gesorgt. Die FKS hat ebenfalls ein Verfahren eröffnet, wie es damit weitergegangen ist, wissen wir allerdings nicht.

? Soviel ich weiß, habt Ihr gleich mit dem Generalunternehmen verhandelt, was war mit dem direkten Arbeitgeber der Kollegen?

! Aura Plesca: Der direkte Arbeitgeber war verschwunden. Wir haben uns auf Grundlage der Auftraggeberhaftung gleich an das Generalunternehmen gewandt. Diese Regelung gibt den Arbeitnehmern das Recht, zumindest die Nettovergütung in Höhe des einschlägigen Mindestlohnes beim Generalunternehmen geltend zu machen. Es ist absolut wichtig, dass es in Deutschland diese Regelung gibt. Ansonsten wären die Kollegen auf den guten Willen der Beteiligten angewiesen, da kommt bekanntlich selten was bei raus.

? Wie sind die Verhandlungen gelaufen?

! Ivan Ivanov: Wir hatten den Eindruck, allen Beteiligten war an einer schnellen Lösung gelegen. Außerdem saßen am Verhandlungstisch auch die Bauherren des Vorhabens, die städtische Wohnungsbaugesellschaft und die Immobiliengesellschaft, die zur Helaba-Gruppe gehört. Auch sie scheinen ihren Einfluss auf das Generalunternehmen geltend gemacht zu haben, was einer zügigen Beilegung des Streits sicherlich zuträglich war. Auch das große Presseecho auf unsere Aktion hatte eine positive Wirkung und hat schnell zu einer umfänglichen Prüfung des Sachverhaltes durch das Generalunternehmen geführt.

? Was ist das Ergebnis der Verhandlungen?

! Ivan Ivanov: Es wurde eine Arbeitsleistung in Höhe von über 81.000 Euro anerkannt. Die IG BAU hatte ursprünglich einen Bruttobetrag von 92.000 Euro geltend gemacht. Davon wurden Abschläge in Höhe von 15.800 Euro netto abgezogen, die schon ausbezahlt worden waren. Am Ende haben die Kollegen einen Nettobetrag von 27. 000 Euro ausbezahlt bekommen. Normalerweise streitet man sich bei solchen Verhandlungen sehr intensiv über den Umfang der geleisteten Stunden. Und die Arbeitnehmer sind dabei regelmäßig in einer ungünstigen Situation, denn sie sind diejenigen, die geleistete Stunden nachweisen müssen. Besonders problematisch gestaltet sich häufig der Nachweis für die Überstunden. Auch in diesem Fall haben die Kollegen immens viele Überstunden geleistet. Insgesamt konnten wir uns jedoch auf eine – ich würde sagen – angemessene Anzahl von geleisteten Stunden einigen. Außerdem konnten wir uns mit dem Generalunternehmer auf die Anwendung des Mindestlohnes 2 im Bauhauptgewerbe einigen. Man muss dazu wissen, dass viele Arbeitgeber im Baugewerbe zwar Fachkräfte beschäftigten, diese jedoch wie Hilfsarbeiter entlohnen. Schlussendlich konnten wir zudem erreichen, dass auch die Kollegen, die nicht bei den Sozialversicherungsträgern angemeldet worden waren, berücksichtigt wurden.

? Also seid Ihr mit dem Ergebnis rundum zufrieden?

! Ivan Ivanov: Nein, das sind wir nicht. Die Haftung des Generalunternehmens bezieht sich ja nur auf die Nettovergütung. In diesem Fall wurde jedoch die Bruttoforderung mit der Steuerklasse 6 veranlagt. Dies mag mag in einzelnen Fällen formal richtig sein, weil einige der Kollegen nicht in Deutschland gemeldet waren. Teilweise lagen uns jedoch Lohnabrechnungen einzelner Kollegen über frühere Lohnzahlungen vor, in denen sie mit der Steuerklasse 1 oder 3 abgerechnet worden waren. Die Veranlagung mit Steuerklasse 6 für alle betroffenen Kollegen, hat dazu geführt, dass sie nur ungefähr die Hälfte der anerkannten Forderung ausbezahlt bekommen haben. Dazu kommt, dass die Männer die Steuern nicht über den Lohnsteuerausgleich zurückbekommen können, weil diese Steuern faktisch nicht entrichtet wurden. Ich finde nach wie vor, dass sich das Generalunternehmen hier hätte großzügiger zeigen können.

? Wie bewerten die betroffenen Bauarbeiter das Ergebnis?

! Aura Plesca: Die Kollegen zeigen sich insgesamt zufrieden. Wir haben sie frühzeitig darüber aufgeklärt, dass eine hundertprozentige Durchsetzung der Forderungen unwahrscheinlich ist. Und wir haben versucht, keine falschen Erwartungen zu wecken. Natürlich hat ihre Notsituation dazu beigetragen, dass sie sehr schnell dazu bereit waren, das Ergebnis so anzuerkennen. Es bleibt aber ein bitterer Beigeschmack.

Interview mit Johannes Schader
Branchensekretär der IG BAU im Bezirksverband Rhein-Main

Interview mit Johannes Schader

© Christpoh Boeckheler

? Die rumänischen Kollegen haben sich zunächst an Faire Mobilität gewandt. Wann habt ihr davon erfahren? Und warum habt Ihr Euch entschieden, die Kollegen zu unterstützen?

! Johannes Schader: Montagmorgens hat Aura Plesca bei mir angerufen und abends war ich auf der Baustelle, um zu klären, wer Auftraggeber und Genera-lunternehmer ist. Auf dieser Grundlage konnte ich mit unserem Regionalleiter abklären, ob wir die rumänischen Kollegen aus politischen Gründen unterstützen können. Am folgenden Tag haben uns die Kollegen im Gewerkschaftshaus besucht. Bei Fällen, in die wir einsteigen, muss es die Möglichkeit zu öffentlich wirksamen Aktionen geben. Das heißt, dass die betroffenen Arbeitnehmer vor Ort bleiben müssen. In diesem Fall waren wir an den Auftraggebern interessiert, die sich im öffentlichem Sektor befinden. Damit konnten wir die Vergabepraxis von öffentlichen Auftraggebern zum Thema machen.

? Nun waren die Kollegen keine Gewerkschaftsmitglieder?

! Wenn solche Aktionen von uns unterstützt werden, müssen sich die betroffenen Arbeiter in der Gewerkschaft organisieren. Bei dem Beitritt zur Gewerkschaft müssen sie sich schriftlich bereit erklären, drei bis sechs Monatsbeiträge an die Gewerkschaft zu zahlen. Natürlich weisen wir die Kollegen darauf hin, dass wir an dauerhaften Mitgliedschaften interessiert sind.

? Habt Ihr Kriterien, in welchen Fällen Ihr, so wie geschildert, handelt und in welchen Fällen Ihr eine Unterstützung ablehnt?

! Immer wenn Arbeitnehmer versuchen, ihr Recht einzeln durchzusetzen, müssen wir in der Regel eine Unterstützung ablehnen, weil es dann kaum möglich ist, über den öffentlichen Druck eine außergerichtliche Vereinbarung zu erreichen. Zudem brauchen wir die Unterstützung von Faire Mobilität, ohne die wir solche Aktionen, wie im Falle der Rumänen, gar nicht durchführen könnten. Wir müssen uns auch klar machen, dass die Anliegen der ausländischen Arbeitnehmer in den meisten Fällen juristisch kaum erfolgreich durchgesetzt werden können. Aber auch hier kann es Ausnahmen geben, etwa wenn ein wichtiger Generalunternehmer oder Auftraggeber beteiligt ist oder – wie in diesem Fall – die öffentliche Hand.

? Bist Du zufrieden mit dem Ergebnis der Verhandlungen?

! Ja und Nein. Unser Ziel war die volle Erstattung der Nettolöhne mit normalem Abzug von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen. Erreicht haben wir die Nettolöhne mit Abzug der Steuerklasse 6. Aufgrund des Zeitdrucks – die rumänischen Kollegen wollten nach Hause oder eine neue Arbeit aufnehmen – und der nicht eindeutigen Rechtslage, haben wir uns am Ende auf diese Vereinbarung eingelassen.

? Das ist ja nicht der erste Fall, den Du mit viel Aufwand betreut hast. Was würdest Du Dir von den ausländischen Kollegen wünschen?

! Bei den Verhandlungen mit dem Generalunternehmer wurde uns und den Kollegen von Fairen Mobilität vorgeworfen, wir würden durch solche Aktionen illegale Beschäftigungsmethoden fördern. Die ausländischen Arbeitnehmer würden bewusst in Arbeitsverhältnisse eintreten, bei denen nicht Bruttolöhne, sondern Nettolöhne oder Barzahlung vereinbart würden. Sicherlich treten diese Formen von Schwarzarbeit im Baugewerbe häufig auf. Unser Ziel als Gewerkschaften ist es unsere Kolleginnen und Kollegen über ihre Rechte aufzuklären und gegen Arbeitgeber vorzugehen, die sich über Schwarzarbeit einen Kostenvorteil verschaffen und die Kollegen damit in eine Falle locken. Das versuchen wir allen Kolleginnen und Kollegen klar zu machen, den inländischen wie den ausländischen. Dazu gehört auch, dass wir die Kollegen dazu auffordern, ihre Arbeitsstunden und die Art ihrer Tätigkeit zu notieren. Und sie sollten auch dokumentieren, auf welcher Baustelle sie gearbeitet haben und das am besten mit Fotos beweisen können.

? Was ist Eure Forderung an die Politik, damit solche Formen von Lohndumping besser unterbunden werden können?

! Die IG BAU Region Hessen hat ein Eckpunktepapier zum fairen Wettbewerb vorgelegt, damit wollen wir Änderungen im hessischen Vergabegesetz erreichen. Zu unseren Forderungen gehören die Begrenzung der Subunternehmerketten auf drei Glieder, die Kontrolle der Subunternehmer bei der Bauausführung durch die öffentlichen Auftraggeber oder neben den Kontrollen des Zolls, die wichtig bleiben. Zudem fordern wir spürbare Strafen und bei nachgewiesenen Verstößen den Ausschluss von der Vergabe. Das könnte helfen.


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