Piotr Mazurek
Im Juli 2024 ist das neue Postgesetz in Kraft getreten – enthält es Neuregelungen, um die häufigsten Probleme anzugehen, wegen derer sich Beschäftigte der Kurier- und Paketdienste an Faire Mobilität wenden?
Piotr Mazurek: Im Mittelpunkt des neuen Gesetzes steht die Regulierung und Qualitätssicherung der Post- und Paketzustellung. Es gibt zwar Abschnitte darin, die die Arbeitsbedingungen in der Kurier-, Express- und Paketbranche in den Blick nehmen, aber das ist nicht der zentrale Fokus des Gesetzes. Schlussendlich hat man mit dem Postgesetz auch nicht die Untervergabe von Aufträgen an Subunternehmerketten ausgehebelt. Das hätte, ähnlich wie in der Fleischindustrie 2020, eine Veränderung gebracht. Aber das konnte beim Postgesetz leider nicht durchgesetzt werden.
Stattdessen wurde eine Lizenzpflicht eingeführt, bisher gab es für Kurier- und Paketdienste nur eine Anzeigenpflicht gegenüber der Bundesnetzagentur. Was sieht die neue Lizenzpflicht vor?
Unternehmen, die eine Lizenz bekommen haben, sollen in einem Register erfasst werden, wodurch Kontrollbehörden eine bessere Übersicht erhalten. Neu ist auch, dass diese Lizenzen wieder entzogen werden können. Allerdings bleibt unklar, unter welchen Umständen es dazu kommen würde.
Um eine Lizenz zu erhalten, müssen bestimmte allgemein formulierte Anforderungen erfüllt sein, wie Zuverlässigkeit, Leistungsfähigkeit, Fachkunde oder dass man die öffentliche Sicherheit nicht gefährdet. Überprüft wird das aber nicht. Nach unserem Kenntnisstand soll eine schriftliche Selbstauskunft ausreichen. Für bestehende Unternehmen gibt es zudem eine Übergangsfrist von zwei Jahren, d.h. sie müssen erst einmal nichts weiter tun.
Und: Die Lizenzpflicht richtet sich ausschließlich an die Subunternehmen. Die großen Paketdienstleister wie Amazon, Hermes und Co., die diese Subunternehmen beauftragen und als Generalunternehmen hinter dem System in der Branche stehen, werden damit nicht stärker in Verantwortung genommen. Ein großer Wurf ist die Lizenzpflicht nicht.
Bräuchte es also nach wie vor ein Subunternehmerverbot?
Ver.di fordert weiterhin ein Verbot von Werkverträgen bzw. ein Direktanstellungsgebot. Auch aus unserer Sicht würde ein solches Verbot zu einer Verbesserung führen, weil die Kleinteiligkeit damit aufgehoben würde, die die Branche prägt. Es gäbe klare Verantwortlichkeiten und Verschleierungspraktiken, mit denen wir es in der Beratung oft zu tun haben, wären unterbunden; Kontrollen würden erleichtert. Zudem könnten sich die meist migrantischen Beschäftigten leichter gewerkschaftlich organisieren.
Was sieht das novellierte Postgesetz zur Arbeitszeiterfassung vor?
Die neue Regel besagt, dass Subunternehmen Daten zur Arbeitszeit vorhalten müssen. Solche Daten sammeln sie schon längst – in den Scannern bzw. Apps, mit denen die Zusteller*innen arbeiten, gibt es GPS-Tracker. Neu ist, dass die Firmen sie nun explizit bei Kontrollen vorzeigen müssen. Einzelheiten sind dabei aber nicht näher definiert.
Hinzu kommt: Auch vor der Novellierung hatten Zollbehörden bereits Zugang zu Daten, anhand derer sie kontrollieren sollten, ob der Mindestlohn unterschritten wurde. Aber wir haben oft erlebt, dass diese Daten manipuliert sind, so dass es auf dem Papier ganz anders aussieht, als es in der Realität ist.
Was sagt das Gesetz denn noch zum Thema Kontrollen?
Wir sehen nicht, dass sie Kontrollmöglichkeiten durch das Gesetz gestärkt werden. Der Gesetzestext erscheint hier recht schwammig.
Bisher haben in der Branche Kontrollen eher eine geringe abschreckende Wirkung gezeigt. Es gibt erstens Hürden bei der Befragung – sprachliche Hürden, aber auch die Tatsache, dass die meist migrantischen Kolleg*innen vom Arbeitgeber oft sehr abhängig sind, teilweise auch eingeschüchtert und dazu gedrängt werden, bestimmte Dinge im Fall einer Kontrolle zu sagen bzw. nicht zu sagen. Zweitens kommen Tricks der Verschleierung und die Kleinteiligkeit der Subunternehmensketten hinzu, die Kontrollen komplizierter und arbeitsaufwändiger machen. Schließlich sind die Bußgelder, die verhängt werden, oft relativ gering, teilweise werden sie von den Subunternehmen einkalkuliert.
Eine weitere Neuregelung betrifft die Zustellung von besonders schweren Paketen ab 20 Kilogramm. Sie ist weiter möglich, wenn „geeignete technische Hilfsmittel“ zur Verfügung stehen. Was bringt diese Klausel?
Die Frage ist, was ein geeignetes technisches Hilfsmittel ist. Das lässt das Gesetz offen. Damit ist jetzt das Bundeswirtschaftsministerium am Zug, das zu konkretisieren. Die Position der ver.di dazu ist deutlich: Es darf keine Sackkarre oder ähnlich einfaches Gerät sein. Tatsächlich geeignete Hilfsmittel – etwa das Exoskellet – sind aber in der Anschaffung teuer. In einer Branche, die derart kostensensibel agiert wie die Paketbranche, würde eine solche konkretisierte Verpflichtung wahrscheinlich dazu führen, dass Lieferungen, die schwerer als 20 Kilogramm sind, dann doch im Zwei-Personen-Handling abgewickelt werden. Der Knackpunkt ist jetzt, ob es eine solche Konkretisierung durch das Bundeswirtschaftsministerium geben wird. Aber: Selbst, wenn sie kommt, ist auch das noch nicht der ganz große Wurf.
Warum?
Aus der Beratungspraxis wissen wir, dass das Belastendste für die Zusteller*innen nicht nur einzelne sehr schwere Lieferungen sind, sondern auch das dauerhafte Tragen: vier, fünf Kilo hier, da mal zehn Kilo, hier noch drei. Bücken, Heben, Treppen hoch und runter, und das die ganze Zeit. Ver.di hat es mal so formuliert: Ein*e Bot*in trägt am Tag das Gewicht eines ausgewachsenen Elefanten. Dazu kommt der psychische Stress. Sie müssen sich vorstellen, dass jeder Arbeitstag von Beginn bis Ende von Zeitdruck geprägt ist. Unvorhergesehene Ereignisse, wie Staus oder Straßensperrungen, führen zu weiteren Verzögerungen, bedeuten längere Arbeitszeit und am Ende mehr Druck durch die Vorgesetzten. Jederzeit können Anrufe erfolgen, bei denen sich jemand erkundigt, warum ein*e Fahrer*in an einem Ort zu lange braucht oder zu langsam unterwegs ist. Auch zur Entschärfung dieser Arbeitsbedingungen finden sich in dem neuen Gesetz keine Vorschläge.
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