Stefan Glöde
Herr Mazurek, Sie haben seit 2016 für Faire Mobilität polnisch-sprachige Beschäftigte vor allem in der Fleischindustrie beraten. Mit welchen Problemen kommen die Leute zu Ihnen?
Die meisten Ratsuchenden kommen, weil sie um ihren Lohn betrogen wurden, wegen unbezahlter Überstunden, fehlender Lohnfortzahlung bei Urlaub oder Krankheit oder wegen irgendwelcher Abzüge von ihren Löhnen. Wir haben es oft auch mit unrechtmäßigen Kündigungen zu tun. Nicht zuletzt sind wir immer wieder mit Fällen konfrontiert, in denen die Betroffenen von einem immensen Arbeitsdruck, von überlangen Arbeitszeiten, kurzfristigen Schichtänderungen sowie von Mobbing und Schikane durch Vorgesetzte berichten.
Über welche Art von Arbeitsverträgen sprechen wir?
Im Produktionsbereich der Fleischindustrie arbeiten vor allem ausländische Beschäftigte. Die Arbeitsverträge sind in der Regel befristet und werden dann ad hoc immer wieder erneuert. Trotz der sehr harten Arbeit bekommen sie fast ausschließlich eine Vergütung im Bereich des Mindestlohnes. Die meisten arbeiten bei einem Werkvertragsunternehmen, also einer Firma, die für einen Schlachthof – auf dessen Werksgelände – eine Dienstleistung, meistens einen Teil der Zerlegung, verrichtet. Vereinzelt haben wir es auch mit Leiharbeit zu tun. Entsendungen, also das Modell, bei dem die Beschäftigten bei einer im Ausland registrierten Firma angestellt sind, sind seit 2015 in der Fleischindustrie zurückgegangen.
Worauf führen Sie den Rückgang bei den Entsendungen zurück?
Noch vor einigen Jahren hatten mittel- und osteuropäische Beschäftigte in der deutschen Fleischindustrie fast ausschließlich einen slowakischen, polnischen, ungarischen oder rumänischen Arbeitsvertrag. Der Lohn orientierte sich an dem Mindestlohn des jeweiligen Entsendelandes, sodass Hungerlöhne von 4 bis 6 € pro Stunde möglich waren. Aufgrund des gesellschaftlichen Drucks und vor allem mit der Einführung des Branchenmindestlohnes 2014 der über das Entsendegesetz allgemein verbindlich erklärt wurde, hat sich das verändert.
Das heißt alle Beschäftigten, auch die Entsandten, müssen den Branchenmindestlohn bekommen?
Eigentlich ja. Die Lohnuntergrenze gilt auch für entsandte Beschäftigte und somit lohnt sich das Entsendemodell nicht mehr in dem Maße, wie früher. Viele der Entsendefirmen aus dem Ausland haben seit 2015 deutsche Niederlassungen gegründet und arbeiten nun als deutsche „Dienstleister“ für die großen Schlachtereien. Für die Beschäftigten aus dem Ausland hat das den Vorteil, dass sie in das deutsche Sozialversicherungssystem einzahlen und Ansprüche erwerben. Aber nach wie vor dominiert in dieser Branche die Vergabe von Werkverträgen an Dienstleister. Damit drücken die Schlachthöfe ihre Kosten und vermeiden es Verantwortung für die Menschen zu übernehmen, die teilweise seit Jahren in ihren Werken arbeiten.
Im vergangenen Sommer wurde das „Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft" verabschiedet. Was ist das Ziel dieses Gesetzes und hat es nach Ihrer Meinung etwas gebracht?
Die Politik hat darauf zu reagieren, dass die Arbeitsbedingungen in der Branche insgesamt nach wie vor miserabel sind, deswegen ist das Gesetz wichtig. Es stellt beispielsweise eindeutig klar, dass die Kosten für Arbeitsmittel und Schutzkleidung vom Arbeitgeber zu tragen sind. Außerdem müssen die Aufzeichnungen über die Arbeitszeiten der Beschäftigten unmittelbar und jeden Tag erfolgen. Für Kontrolleure ist es so einfacher festzustellen, wie lange die Beschäftigten zum Zeitpunkt der Kontrolle bereits gearbeitet haben. Allerdings haben die Beschäftigten nach wie vor kein Anrecht auf eine Dokumentation dieser Aufzeichnungen und haben daher selbst keine unmittelbare Kontrolle über die abgerechneten Stunden.
Wurde mit dem Gesetz nicht auch eine Generalunternehmerhaftung eingeführt?
Das kann man so nicht sagen. Da der Branchenmindestlohn in der Fleischindustrie über das Arbeitnehmerentsendegesetz für allgemein verbindlich erklärt wurde, waren die Auftraggeber schon vor dem neuen Gesetz in der Haftung für die Nettolöhne, die von einem Dienstleister nicht bezahlt werden. Was jetzt neu ist, ist die zusätzliche Haftung für Sozialversicherungsbeiträge, die von den Subunternehmen nicht abgeführt wurden. Da wir es – anders als im Baugewerbe – in der Fleischindustrie nicht mit langen Subunternehmerketten zu tun haben, an deren Ende gar keiner mehr bezahlt wird, spielen diese Haftungsregeln in der Fleischbranche bisher keine große Rolle. Trotzdem ist es gut, dass mit dem Gesetz versucht wird, die Auftraggeber mehr in Verantwortung für die Beschäftigten zu nehmen.
Was sind – neben den Arbeitsbedingungen und den miserablen Löhnen - weitere Problemfelder, die Sie mit der Fleischindustrie in Verbindung bringen?
Die in Deutschland ansässigen Schlachtbetriebe haben sich in den vergangenen Jahren zu milliardenschweren, internationalen Konzernen entwickelt. Die Schlachtkapazitäten sind geradezu explodiert. Das führt zu immensen ökologischen Problemen, denken Sie nur an die Debatte über die Nitratkonzentration im Grundwasser. Ein weiteres Thema, das immer mehr Menschen zurecht interessiert, ist die Frage des Tierwohls bei Massentierhaltung und Massenschlachtung. Alleine im größten Schlachtbetrieb Deutschlands verarbeiten 4.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jeden Tag bis zu 25.000 Schweinen. Im Produktionsbereich ist die körperliche Arbeitsbelastung für die Beschäftigten enorm hoch. Das Arbeiten bei anhaltender Feuchtigkeit und niedrigen Temperaturen zwingt viele nach kurzer Zeit zum Aufgeben. Die, die länger in diesen Bereichen arbeiten, leiden nach einer gewissen Zeit oft an physischen und zum Teil auch psychischen Schäden. Wer längerfristig krank wird oder einfach nicht mehr kann, wird aus dem Arbeitsprozess aussortiert und durch neue, frische Arbeitskräfte ersetzt. Der Umgang mit diesen Menschen erinnert mich immer wieder an Berichte aus der Zeit der Industrialisierung.
Wie müssten sich Ihrer Einschätzung nach die rechtlichen Rahmenbedingungen ändern, damit in der Branche bessere Arbeitsbedingungen herrschen?
Wir brauchen eine konkrete Definition von Werkverträgen. Es kann nicht sein, dass Schlachthöfe große Teile der Schlachtung, der Zerlegung und Verpackung permanent auslagern und selber lediglich als eine Art Organisator der Produktion fungieren. Hilfreich wäre ein Verbandsklagerecht für Gewerkschaften, um den einzelnen Beschäftigten bei Problemen aus der Schusslinie zu nehmen. Nach wie vor ist es so, dass auch bei systematischen, mehrfachen Verstößen gegen arbeitsrechtliche Bestimmungen, jeder Betroffene selbst vor einem Arbeitsgericht klagen muss.
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