©Christoph Boeckheler
„Es ist, als wären wir wie Tiere von einer Firma an die andere verkauft worden“, sagt Gheorghe Stoica (Name geändert). Er hat in den letzten Monaten in Deutschland auf sieben Baustellen gearbeitet. Gheorghe sagt, er habe dort weder Arbeitskleidung, noch eine Einweisung in den Arbeitsschutz oder Unterstützung im Krankheitsfall bekommen. Ende Juni wurde das Subunternehmen, für das er arbeitete vom Zoll kontrolliert. Die Besitzer des Unternehmens wurden wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung und vorenthaltene Sozialversicherungsbeiträge festgenommen. Gheorghe ging es wie etwa 100 weiteren Kollegen aus Rumänien: er verlor seinen Job, der Lohn des letzten Monats wurde nicht ausbezahlt und er musste seine Unterkunft verlassen. Da seine Familie in Rumänien auf seine Zahlungen angewiesen ist, arbeitet er jetzt für ein anderes Subunternehmen. Dieses aber habe ihm auch nach einem Monat noch keine Papiere ausgehändigt.
Es ist kaum zu glauben, doch Beschäftigte wie Gheorghe Stoica bilden aktuell das Rückgrat einer boomenden Branche. 400.000 neue Wohnungen sollen nach Plänen der Bundesregierung jedes Jahr entstehen. Die Investitionen in die energetische Gebäudesanierung steigen. Es gibt kaum eine Autobahn ohne Baustelle auf dem einen oder anderen Streckenabschnitt. Obwohl die Materialpreise jüngst deutlich gestiegen sind, hält der Bauboom nach Einschätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung weiter an (DIW 2022). Und diese Entwicklung ist nicht neu, denn in den letzten zehn Jahren ist die Bauwirtschaft stetig gewachsen. Die Zunahme der Anzahl der Beschäftigten wurde in dieser Zeit fast komplett durch Osteuropäer abgedeckt. Ihre Zahl hat in dieser Zeit pro Jahr (!) im Durchschnitt mehr als 11 Prozent zugenommen (HDB 2022; siehe Abbildung). Inzwischen liegt der Anteil von ausländischen Beschäftigten an allen sozialversicherungspflichtigen Jobs im Bau bei knapp 22 Prozent (HDB 2022). Diese Beschäftigten kommen ganz überwiegend aus osteuropäischen Ländern.
HDB 2022
Hinzu kommt die Gruppe derer, die in Deutschland als entsandte Beschäftigte auf den Baustellen arbeiten, also von Unternehmen mit Sitz im Ausland zeitweise nach Deutschland geschickt werden. Auch diese Beschäftigten kommen überwiegend aus Ländern wie Polen, Rumänien oder Kroatien. Ihre Zahl ist im Bauhauptgewerbe in den letzten Jahren etwa auf gleichem Niveau geblieben. Im Jahr 2021 waren es 83.000 (SOKA BAU 2022). Rechnet man weiterhin die 25.000 Beschäftigten hinzu, die auf Grundlage der Westbalkanregelung ein Visum erhalten und überwiegend im Wohnungsbau arbeiten, so wird die zentrale Bedeutung der Beschäftigten aus Osteuropa im Bauhauptgewerbe deutlich.
Am unteren Ende der Kette
Allerdings haben die osteuropäischen Beschäftigten wenig von dem Bauboom. Meist erhalten sie für ihre harte Arbeit keine Tariflöhne, sondern werden lediglich als Helfer bezahlt, obwohl sie qualifizierte Tätigkeiten verrichten. Zugleich haben die Arbeitgeber die Situation trotz des bestehenden Fachkräftemangels in diesem Jahr weiter verschärft: Sie haben einseitig die Branchenmindestlöhne im Bauhauptgewerbe aufgekündigt.
Hinzu kommt ein weiteres Problem: Das Bauhauptgewerbe ist durch eine hohe Bedeutung von Subunternehmen gekennzeichnet. Große Bauunternehmen fungieren als Hauptauftragsnehmer, haben nur noch einen kleinen Stamm an eigenen Beschäftigten und wickeln den Großteil ihrer Aufträge durch die Untervergabe an Werkvertragsunternehmen ab. In vielen Fällen entwickeln sich lange Subunternehmerketten. Subunternehmer vergeben ihre Aufträge ihrerseits weiter und wollen Profit machen. Daher lohnt sich die Vergabe nur bei beträchtlichen Unterschieden der Arbeitskosten zwischen Generalunternehmen und Subunternehmen.
Der Fall von Gheorghe Stoica und seinen Kollegen in Frankfurt zeigt die massiven Probleme, die mit diesem Modell einhergehen: Die Profite von Unternehmen im Baugewerbe beruhen wesentlich auf der Ausbeutung der Beschäftigten. Gleichzeitig wird es bei intransparenten Subunternehmerketten immer schwieriger, die Einhaltung grundlegender Arbeitsstandards auf wechselnden Baustellen zu kontrollieren. Hans-Joachim Rosenbaum, Regionalleiter der IG BAU in Hessen erklärt, wie sich das auf die rumänischen Bauarbeiter auswirkt: „Sie suchen eine richtige Stelle mit Arbeitslosen- und Krankenversicherung, haben aber fast keine Chancen, auf dem deutschen Arbeitsmarkt richtig Fuß zu fassen. Sie sind Facharbeiter – und werden in die Illegalität gezwungen.“
In dem Fall von Stoica und seinen Kollegen leisten IG BAU, Faire Mobilität und das PECO-Institut gemeinsam Unterstützung. Insgesamt 94 rumänische Beschäftigte sind der Gewerkschaft beigetreten. Sie fordert nun von sieben Generalunternehmen, auf deren Baustellen die Beschäftigten gearbeitet haben, die Nachzahlung der Löhne.
Um verstärkt mit Bauarbeitern aus Osteuropa in Kontakt zu treten, führt Faire Mobilität zusammen mit der IG BAU und den Organisationen Arbeit und Leben, Faire Integration, EVW und dem PECO-Institut zwischen dem 5. und 9. September die Aktionswoche #RespektFuerEureArbeit durch. In dieser Zeit werden Baustellen und Unterkünfte besucht und die Kollegen in ihren Herkunftssprachen über ihre Rechte informiert. Über die Aktionen wird auf Facebook- und Twitter-Kanälen der beteiligten Organisationen berichtet. Ziel der Aktionswoche ist es sichtbar zu machen, dass der Bauboom von allen in Deutschland tätigen Beschäftigten getragen wird. Dafür fordern sie zu Recht Respekt, faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen.
Quellen
DIW (2022), Bauwirtschaft: Hohe Preisdynamik setzt sich fort – Geschäfte laufen trotz Corona –Krise gut (DIW Wochenbericht 1 / 2 ) https://www.diw.de/de/diw_01.c.833281.de/publikationen/wochenberichte/2022_01_1/bauwirtschaft__hohe_preisdynamik_setzt_sich_fort_____geschaefte_laufen_trotz_corona-krise_gut.html
HDB (2022), Die Bauwirtschaft im Zahlenbild. https://www.bauindustrie.de/fileadmin/bauindustrie.de/Media/Veroeffentlichungen/Bauwirtschaft-im-Zahlenbild-2022-A5_01.pdf
SOKA BAU (2022), Geschäftsbericht 2021, https://www.soka-bau.de/fileadmin/user_upload/Dateien/Unternehmen/geschaeftsbericht_soka-bau_2021.pdf
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