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Marko Transić war früher Polizist. Heute arbeitet er für das Bündnis der freien Gewerkschaften in Slowenien. Der Gewerkschafter profitiert von seinem früheren Beruf, denn sein Einsatz für die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erfordert oft kriminalistisches Geschick. Immer häufiger ist er mit problematischen grenzüberschreitenden Arbeitsverhältnissen betraut. Die Indizien häufen sich, dass aus Slowenien entsandte Beschäftigte auffällig oft bei Unternehmen angestellt sind, die ihr Geschäftsmodell auf systematischer Ausbeutung und Lohnbetrug aufbauen. Miteinkalkuliert wird, dass die Betroffenen fern ihrer Heimat nicht wissen, an wen sie sich wenden können, wenn sie etwa auf Großbaustellen um ihren Lohn betrogen werden. Doch dieses Kalkül geht nicht immer auf. Diesen Sommer erreichte Marko Transić ein Anruf aus Deutschland: Ein bosnisch-herzegowinischer Bauarbeiter, angestellt bei einem slowenischen Arbeitgeber und auf eine Baustelle in der Nähe von München tätig, bat ihn um Hilfe. Er und seine Kollegen hatten Probleme mit ihrer Unterkunft.
Marko Transić leitete den Fall an Dragana Bubulj weiter, die als serbokroatisch-sprachige Beraterin für Faire Mobilität im süddeutschen Raum arbeitet und häufiger mit der Situation von entsandten Beschäftigten konfrontiert ist. „Der Austausch zwischen uns, die wir mit transnationalen Arbeitsverhältnissen zu tun haben, klappt reibungslos“, erzählt Dragana Bubulj. „Marko kenne ich über das EU-Projekt „Fair Posting“ mit dem wir in Bezug auf entsandte Beschäftigte die Zusammenarbeit und den Austausch zwischen den Gewerkschaften in Kroatien, Bulgarien, Slowenien und Deutschland fördern. Das ist sehr hilfreich, denn in der Praxis beobachten wir, dass Entsendungen, also vom Arbeitgeber angewiesene Arbeitseinsätze im Ausland, für die Beschäftigten viele Probleme nach sich ziehen. Gerade im Baugewerbe arbeiten die Entsandten oft in Nachunternehmerketten. Die beteiligten Firmen, in diesem Fall der deutsche Auftraggeber und der slowenische Subunternehmer, schieben ihre Zuständigkeiten jeweils auf den anderen ab; zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.“ Dragana Bubulj nahm im Fall der Bauarbeiter aus Bosnien-Herzegowina Kontakt mit den Betroffenen in Deutschland auf.
Der slowenische Arbeitgeber der Bauarbeiter – eigentlich für die Unterbringungskosten in Deutschland zuständig – war dem Vermieter die Mietkosten schuldig geblieben. Der Auftraggeber, ein großes bayerisches Bauunternehmen, war nicht bereit, die Mietkosten für die Unterkunft der Bauarbeiter zu übernehmen. Der slowenische Arbeitgeber, mit dem die Beraterin ebenfalls Kontakt aufnahm, redete sich mit Liquiditätsproblemen heraus, die er dem deutschen Auftraggeber anlastete. Dieser habe seine Rechnungen noch nicht bezahlt, deswegen könnten die Mietschulden nicht übernommen werden. Dragana Bubuljs Vermittlungsversuche waren vergeblich. Die Bauarbeiter mussten ihre Unterkünfte verlassen und übernachteten auf der Baustelle. Im weiteren Verlauf der Vermittlungsversuche stellte sich heraus, dass die bosnisch-herzegowinischen Bauarbeiter ebenfalls auf Teile ihres Lohns warteten. Nachdem im Gespräch mit den Männern klar wurde, dass diese so schnell wie möglich zurück nach Hause wollten, ihre Chancen auf eine längerfristige Weiterbeschäftigung auf der Baustelle gering und deswegen auch kein Interesse an einer Mitgliedschaft in einer deutschen Gewerkschaft bestand, entschieden sich Dragana Bubulj und Marko Transić für eine Doppelstrategie. Sie versendeten Zahlungsaufforderungen für die ausstehenden Löhne der insgesamt zwölf betroffenen Bauarbeiter an den slowenischen Arbeitgeber und an den bayerischen Generalunternehmer.
„Nach zähen Verhandlungen hat der Generalunternehmer in diesem Fall immerhin die Nettomindestlohnvergütung der Beschäftigten übernommen“, erzählt Dragana Bubulj. „Das sind im Baugewerbe derzeit 11,30 Euro und für Fachkräfte 14,70 Euro die Stunde. Insgesamt haben wir 23.000 Euro erkämpft.“ Hilfreich war dabei der Verweis auf die Generalunternehmerhaftung, denn nach §14 der Entsenderichtlinie haftet das Generalunternehmen mindestens für die Nettomindestlohnvergütung der Beschäftigten. Damit trägt das Generalunternehmen das Risiko, falls eines der Subunternehmen seine Beschäftigten nicht entlohnt. Die Drohung der Anwendung dieser Haftungsregelung half den Beschäftigten in diesem Fall: Sie hätten ihre Löhne sonst bis heute nicht gesehen. Denn die Zahlungsaufforderungen an den slowenischen Arbeitgeber waren ungeöffnet zurückgekommen. Das ist ein beliebter Trick, um ein Verfahren wegen Lohnbetrugs hinauszuzögern. Ein solches hat Marko Transić gegen das slowenische Unternehmen eingeleitet. Denn bei weiteren Recherchen war ihm aufgefallen, dass das Unternehmen, die entsandten Beschäftigten auch um die Sozialabgaben betrogen hatte. Mit gefälschten, scheinbar von den Bauarbeitern unterschriebenen Dokumenten, hatte der slowenische Unternehmer die Bosnier rückwirkend bei den Sozialversicherungsträgern abgemeldet – ein weiterer perfider, höchstwahrscheinlich von vorneherein kalkulierter Betrug. Nicht nur an den Bauarbeitern, denen dadurch Anrechnungszeiten in der Arbeitslosenversicherung vorenthalten wurden, sondern auch am slowenischen Sozialversicherungssystem.
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„Aber es war nicht meine letzte Anzeige. Nachdem klar war, dass ich den Betrug an den Arbeitern und am Sozialsystem zur Anzeige bringen würde, bedrohte mich der Unternehmer unverhohlen. Er würde dafür sorgen, dass ich Slowenien verlassen müsse, wenn ich mich weiterhin in seine Geschäfte einmischen würde. Unseriöse Subunternehmer sind nicht nur für deutsche Auftraggeber ein Risiko“, kommentiert Marko Transić lakonisch. Er hat auch diesen Einschüchterungsversuch zur Anzeige gebracht und denkt keinesfalls ans Aufgeben. Aber er weiß auch: Das System krankt insgesamt. Da es in Slowenien relativ einfach ist, ein Unternehmen zu gründen, nutzen viele Unternehmer diese niedrigen Hürden aus. Oft stellen sie sich im Nachhinein – wie im oben beschrieben Fall – als Briefkastenfirmen heraus, als Unternehmen, die ohne Rücklagen und sonstige geschäftliche Aktivitäten auf das Geschäft mit der Versendung von Arbeitskraft setzen.
Das ausbeuterische Geschäftsmodell funktioniert auf deutschen Baustellen – trotz Generalunternehmerhaftung – deshalb so gut, weil die Auftraggeber von den günstigen Angeboten der unseriösen Subunternehmer profitieren. Der Verdacht liegt nahe, dass das Haftungsrisiko im Vergleich zu den Gewinnen relativ gering ist. Das liegt auch darin begründet, dass jeder Einzelne seine Lohnansprüche selbst durchsetzen muss. Ohne die Beratung und die gewerkschaftliche Unterstützung von Experten wie Dragana Bubulj und Marko Transić wären die meisten Bauarbeiter kaum in der Lage für ihre Rechte auf gute Arbeitsbedingungen und faire Bezahlung zu kämpfen. Ihre Zusammenarbeit ist nicht einkalkuliert und deshalb umso wertvoller.
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