Deutscher Gewerkschaftsbund

Fleischindustrie

Beratungsstellen mit Schwerpunkt Fleischindustrie

Flyer: Arbeit im Schlachthof

Fleischindustrie wird zum Corona-Hotspot

Überausbeutung und Werkverträge: Das Geschäftsmodell einer Branche als Brandbeschleuniger der Pandemie

Menschenunwürdige Arbeits- und Wohnbedingungen für Werkvertragsbeschäftigte in der Fleischindustrie sind seit Jahren bekannt. Die großen Fleischkonzerne lagern einen Großteil ihrer Kerntätigkeiten an Subunternehmer aus, die Beschäftigte in Ost- und Südosteuropa anwerben. Gearbeitet wird im Akkord, 12- bis 14- Stunden-Schichten sind keine Seltenheit. Viele Beschäftigte arbeiten "nicht nur zu miesen Löhnen und Arbeitsbedingungen, sondern werden auch in Absteigen zusammengepfercht, in denen Abstand und grundlegende Hygienemaßnahmen kaum möglich sind", wie Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) dem Spiegel sagte.

Sechs Prozent aller Covid-19-Fälle in Schlachthöfen

Trotzdem hat die Politik bislang viel zu wenig getan, um diesem Ausbeutungssystem einen Riegel vorzuschieben. Das rächt sich nun in der Corona-Pandemie: Rund 850 Beschäftigte in Schlachthöfen hatten sich bis Mitte Mai mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert. Das waren sechs Prozent (!) aller akuten Covid-19-Fälle in der Bundesrepublik – allein im Umfeld dreier Betriebe.

Der erste nachgewiesene Ausbruch in einem deutschen Schlachthof begann schon vor Ostern. Am 7. April hatte sich ein Beschäftigter im Unternehmen Müllerfleisch aus Birkenfeld bei Pforzheim an die Polizei gewandt, weil es ihm schlecht ging. Das Gesundheitsamt fand schnell weitere 80 Infizierte ausgemacht, mittlerweile sind es über 400 – allesamt Wanderarbeiter aus Osteuropa, untergebracht in engen, überbelegten Unterkünften mit mangelhaften Sanitär- und Sozialräumen. Auch in Schlachtbetrieben in Coesfeld (NRW) und Bad Bramstedt (Schleswig-Holstein) wurden im Mai Hunderte Covid-19-Fälle bekannt.

Kriminelle Energie

Für Kenner der Branche kommt diese Entwicklung nicht überraschend (vgl. Interview mit Elwis Capece, NGG). Überausbeutung und systematische Umgehung gesetzlicher Mindeststandards gehören zum System. Erfahrungen aus der Beratungspraxis von Faire Mobilität zeigen, welche Tricks Subunternehmer anwenden, um den gesetzlichen Mindestlohn zu unterlaufen. So werden üblicherweise geringere Stundenzahlen vereinbart als die Beschäftigten tatsächlich arbeiten. Für Urlaubs- oder Krankheitszeiten wird dann nur der geringere vertragliche Lohn ausgezahlt. So sparen die Unternehmen Lohnzahlungen und Sozialversicherungsbeiträge. Häufig werden weniger Stunden ausgezahlt als gearbeitet wurden. Die Beschäftigten können ihre geleistete Stundenzahl kaum beweisen. Und wenn Beschäftigte selbst kündigen, warten sie oft vergeblich auf ihren letzten Lohn, ebenso wie auf Austrittspapiere und Arbeitszeugnisse.

2015 veröffentlichten die sechs großen deutschen Fleischkonzerne eine Selbstverpflichtungserklärung „für attraktivere Arbeitsbedingungen“. Doch werde die desolate Unterbringungssituation noch der Missbrauch von Werkverträgen wurde damit beendet. Zwar erklärten die Unternehmen, sie wollten den Anteil ihrer Stammbelegschaften erhöhen – allerdings nur „im Rahmen ihrer jeweiligen wirtschaftlichen Verhältnisse“.

Wenn es freiwillig nicht geht, kann nur noch staatlicher Zwang helfen: "Wir brauchen verbindliche Quoten für die Kontrollen, schmerzhafte Bußgelder bei Verstößen und klare, unmissverständliche Verantwortung eines Arbeitgebers für seine Betriebsabläufe", fordert Bundesarbeitsminister Heil. Am 17. Mai will er im Corona-Kabinett dazu Vorschläge für eine Novelle des Arbeitsschutzgesetzes vorlegen.

 

Publikation

Für faire Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie

Faire Mobilität

Broschüre: Für faire Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie! (2020) (PDF, 922 kB)

90.000 Beschäftigte arbeiten in der deutschen Fleischindustrie. Diese Zahl hat sich seit den 90ern kaum verändert. Die Menge der geschlachteten Tiere ist jedoch enorm angestiegen, der Umsatz der Branche hat sich seit der Jahrtausendwende verdoppelt. Sechs große Unternehmen beherrschen den deutschen Markt. Deutschland ist nach China und den USA der weltweit größte Schweinefleischproduzent. Um billiges Fleisch exportieren zu können, importiert Deutschland billige Arbeitskraft: Mehr als zwei Drittel der Beschäftigten sind bei Subunternehmern angestellt, die über Werkverträge als Dienstleister für die großen Fleischkonzerne tätig sind. Meist handelt es sich um mobile Beschäftigte aus Mittel- und Osteuropa die hier unter menschenunwürdigen Bedingungen ausgenutzt werden. Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften kämpfen seit Jahren gegen diese Zustände an. Doch erst als sich im Zuge der Corona-Pandemie 2020 Tausende Beschäftigte mit dem SARS-Cov2- Virus infizierten, rückte ihre Situation in den Fokus von Politik und Öffentlichkeit. Wir sagen: Jetzt ist die Zeit, dieses unerträgliche System ein für alle mal zu beenden! Die Broschüre kann im DGB-Shop https://dgb-shop.bw-h.de/Drucksachen/DGB-Faltblatt-Arbeitsbedingungen-in-der-Fleischindustrie::112.html kostenlos bestellt werden.

Zum Download: Hintergrundinfos und Praxisbeispiele

Faire Mobilität: Hintergrund Fleischwirtschaft.pdf (PDF, 446 kB)

Das Auslagern von Verantwortung ist organisierte Verantwortungslosigkeit: Verstöße gegen Arbeits- und Gesundheitsschutz im Zusammenhang mit Werkvertragskonstruktionen in der Fleischindustrie. Praxisbeispiele und Problemanalysen. Stand: 27.07.2020

Faire Mobilität: Hintergrund Unterkunftssituation mobiler Beschäftigter (PDF, 408 kB)

Schlechte Standards und missbräuchliche Praktiken bei der Unterbringung ausländischer Arbeitskräfte in der Fleischindustrie und anderen Branchen: Beispiele aus der Praxis der Beratungsstellen von "Faire Mobilität" und "Arbeit und Leben" sowie der IG BAU. Stand: 27.07.2020

Fleischangebot im Supermarkt

mappe-cn/flickr

Fleischindustrie: Fakten und Zahlen

Knapp 60 Kilogramm Fleisch verzehren die Deutschen im Schnitt pro Kopf und Jahr. Obwohl der Fleischkonsum in Deutschland seit Mitte der 80er Jahre leicht rückläufig ist steigt die Produktionsmenge: Wurden 1970 laut Eurostat noch 2583 Tonnen erzeugt, waren es 2016 bereits 5455 Tonnen. Seit der Jahrtausendwende hat die Branche ihren Umsatz verdoppelt. Deutschland ist nach den USA und Brasilien der weltweit größte Fleischexporteur und liefert an weltweit über 100 Länder.

Sechs große Unternehmen beherrschen den deutschen Markt. Allein die drei größten deutschen Fleischkonzerne schlachteten 2017 mehr als 33 Millionen Schweine, das entspricht einem Marktanteil von 57 Prozent. In einzelnen Großschlachthöfen werden bis zu 150.000 Schweine pro Woche geschlachtet.

90.000 Beschäftigte arbeiten in der deutschen Fleischindustrie (ohne Handwerksbetriebe). Diese zahl hat sich seit den 90ern kaum verändert. Der Umsatz pro Beschäftigten hat sich seit der Jahrtausendwende allerdings verdoppelt.

Um billiges Fleisch exportieren zu können, importiert Deutschland billige Arbeitskraft: Zwei Drittel der Beschäftigten sind bei Subunternehmern angestellt, die über Werkverträge als Dienstleister für die Fleischindustrie tätig sind.

(Quelle: Eigene Recherchen)


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Neben der Beratung von Arbeitnehmenden, sind sie im engen Kontakt mit verschiedenen Akteuren in ihren Ländern und in den Empfängerländern, um Probleme zu lösen, sich über Gesetze und Vorschriften auszutauschen, Kontakte zu vermitteln, sich zu vernetzen und einen fairen, europäischen Arbeitsmarkt voran zu bringen.

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